Tri Tin Vuong


»Ich hab' gedacht, entweder bekomm' ich die Freiheit oder ich sterbe für die Freiheit in Vietnam.«

— Tri Tin Vuong


Mit 13 Jahren gelingt Tri Tin Vuong die Flucht aus seiner südvietnamesischen Heimat. Es ist das Entkommen vor dem kommunistischen Regime, vor Willkür, Unfreiheit, Brutalität und Angst. Nach mehreren missglückten Versuchen gelingt es ihm, auf einem überfüllten Fischerboot über das offene Meer zu entkommen. Über seine dramatische Flucht, das Willkommen in Deutschland und sein Leben als Wahlpfälzer in Landau berichtet Vuong in seiner Geschichte „Flucht über den Ozean des Ostens“.

1. Die Flucht

Tri Tin Vuong wächst mit acht Geschwistern in Saigon, dem heutigen Ho-Chi-Minh-Stadt auf, in einem von liberalem Denken geprägten, wohlhabenden Kaufmannshaus. Bildung wird bei den Vuongs großgeschrieben, die Kinder besuchen die französische Schule und die Universität, ein auskömmliches Leben in dem westlich geprägten Südvietnam scheint gesichert.

Die Lage ändert sich jedoch drastisch. Kommunistische, nordvietnamesische Truppen erobern 1975 die Hauptstadt Saigon und beenden mit der Kapitulation Südvietnams den Vietnamkrieg, der zwischen 1955 und 1975 mehrere Millionen Tote forderte. Am 2. Juli 1976 erfolgt durch die Gründung der Sozialistischen Republik Vietnam die Wiedervereinigung des kommunistischen Nord- und kapitalistisch orientierten Südvietnams. Die neue, kommunistische Regierung erzwingt ihre Ideologie mit Brachialgewalt. Hunderttausende Südvietnamesen, darunter zahlreiche, ehemalige Regierungsangestellte und Armeeangehörige werden in Umerziehungslager verschleppt. Mehr als 165.000 davon lassen ihr Leben, Tausende werden zu Tode gefoltert oder vergewaltigt.

Die dramatische Situation ist ein besonders schwerer Schicksalsschlag für das Ehepaar Vuong, das einst dem nordvietnamesischen Regime entfloh, um im Süden eine selbstbestimmte, freiheitliche Existenz aufzubauen. Erneut sind sie der kommunistischen Repression unterworfen und gelten als kapitalistische Landesverräter. Mit sieben Jahren erlebt Tri Tin Enteignung, Zwangsevakuierung und Verbot der Meinungsfreiheit durch die Vertreter der Behörden, die mutwillig und mit Brutalität in sein Elternhaus eindringen.

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Der Schock über das Unglaubliche sitzt tief. Den Eltern verschlägt es wortwörtlich die Sprache. Sie stehen unter Hausarrest, den Kindern ist der Schulbesuch untersagt. „Innerhalb weniger Wochen sind meine Eltern zusehends gealtert“, erinnert sich Vuong. Einige Zeit später muss die Familie ihr Haus verlassen, wird auf das Land evakuiert, um schwere Feldarbeit zu leisten.

Die unerträglichen Umstände lassen Fluchtgedanken reifen. Tri Tin und seine Geschwister sollen Vietnam so rasch wie möglich verlassen und in sicheren, westlichen Ländern ein neues, freies Leben finden. Die Familie nimmt Kontakt zu einer Fluchtorganisation auf, die Tri Tin und eine seiner Schwestern auf einem der überteuerten Flüchtlingsboote außer Landes bringen soll. Doch das Wagnis misslingt. Auch drei weitere Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Einmal wird der damals 13-jährige sogar für rund vier Wochen inhaftiert. Erinnerungen, die bis heute traumatisch sind. 

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In einem erneuten, verzweifelten Fluchtversuch droht Tri Tin zu ertrinken. „Dieser Junge will umsonst mitfahren“, schreit einer der Männer aus dem Fluchtboot. Schwere Tritte treffen ihn ins Gesicht. „Meine Hände lösten sich von der Bordwand, der Kopf sank unter die Wasseroberfläche…..“, erinnert sich Vuong.

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Endlich gelingt ihm nach vier erfolglosen Versuchen die Flucht auf einem kleinen Fischerboot, das mit 110 Personen heillos überfüllt ist. Ziellos treiben die Menschen auf das offene Meer zu. „Die Luft im Unterdeck wurde ganz schnell schlecht durch die vielen Leute. Wir konnten nicht richtig sitzen. Das Boot war 3,5 Meter breit und 12,5 Meter lang und zu viele Leute waren darauf“. Noch immer sind Vuong jene Bilder vor Augen.

Fünf Tage und vier Nächte treiben er und die anderen Flüchtlinge ziellos auf dem südchinesischen Meer umher. 300 Kilometer hat das kleine Boot seit Beginn der Odyssee zurückgelegt, Nahrungsmittel und Trinkwasser sind nahezu aufgebraucht. Die Verzweifelten verbrennen ihre Kleidung, um von vorbeifahrenden Schiffen bemerkt zu werden. Das Boot leckt, der Motor ist defekt. Plötzlich zieht ein schwerer Sturm auf. Der überladene Kahn droht zu kentern. Doch keines der vorbeifahrenden Handels- und Passagierschiffe stellt Rettung in Sicht. Es ist ihnen untersagt, Flüchtlinge aufzunehmen. Plötzlich taucht ein Frachtschiff auf und manövriert vorsichtig an das havarierte Boot. Es könnte eine Falle thailändischer Piraten sein, die als Flüchtende getarnt vorbeifahrende Schiffe zu kapern versuchen, denkt man. Aber rasch erkennt die Mannschaft, dass es sich bei den Hilfsbedürftigen um wahre vietnamesische Flüchtlinge handelt. In Windeseile werden Netze an der Schiffwand gespannt und Strickleitern herabgelassen. Mit letzter Kraft ergreifen die erschöpften Menschen die rettenden Hände, die man ihnen von Bord der „Anja Leonhardt“ reicht.

Auf ihrer Route Casablance-Taiwan entdeckt die „Anja Leonhardt“ die in Seenot geratenen Flüchtlinge.
Rettung nach fünftägiger Odysse.
Der Kapitän durchsucht die Geretteten nach Waffen.
Obwohl der Ärger mit Reederei und Behörden absehbar ist, nimmt Schander die 110 Geflüchteten an Bord.
Glückliche Gesichter: Kapitän Schander inmitten der Geretteten

Nach und nach rettet die 12-köpfige Besatzung unter Führung ihres Kapitäns Manfred Schander an jenem Freitagabend am 24.Oktober 1985 Tri Tin und weitere 64 Männer, 23 Frauen, 12 Jungen und 10 Kleinkinder aus dem Boot. „Unser Schiff kam aus Casablanca mit Ziel Taiwan. Wir hatten Reis und ausreichend Nahrungsmittel an Bord. Ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden, wenn ich mich nicht über die herrschenden Vorgaben hinweggesetzt hätte um die Menschen zu retten“, erinnert sich Kapitän Schander an jenen Tag. „Als alle an Bord waren, untersuchten wir die Leute zur Vorsicht auf Waffen und fanden bei einem Mann ein Friseurbesteck. Es war die einzige Habe die ihm blieb, um in der Freiheit eine neue Existenz aufzubauen.“ Zum Zeitpunkt ihrer Rettung ist es dem Kapitän noch unklar, wo er die Menschen an Land gehen lassen kann.

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Die Zeitungen berichten:

Am 28. Oktober erreicht die „Anja Leonhardt“ Manila. Nach einwöchigem Aufenthalt setzen die Geretteten ihre Reise in ein Auffanglager auf die westphilippinische Insel Palawan fort und bleiben für die Dauer von sechs Monaten bis zur Erteilung der Einreisegenehmigung in Drittländer vor Ort. Ihr Aufenthalt ist durch das Hilfsprogramm des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) finanziert. Dank seiner englischen Sprachkenntnisse ist Vuong in einem der UNHCR-Büros als Aushilfe tätig.

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Noch heute gedenken die Geflüchteten ihrer Rettung mit Dankbarkeit. „Gruppe 110“ nennen sich die Menschen, die heute mit ihren Familien in Deutschland leben. 2007 kommen sie erstmals wieder in Bonn zusammen, um ihrem Kapitän für die Rettung zu danken. 60 der Geretteten besitzen heute die deutsche Staatsbürgerschaft. Alle anderen haben sich in den USA, in Kanada oder Australien mit Erfolg eine neue Existenz aufgebaut.

„In tiefster Dankbarkeit gegenüber dem deutschen Volk und der deutschen Regierung“ ist auf dem Gedenkstein zu lesen, der in Anwesenheit von Tri Tin Vuong und Kapitän Schander 2007 in Troisdorf enthüllt wird und an die Rettung tausender Vietnamesinnen und Vietnamesen erinnert.

2. Ankunft in Deutschland

Ende 1978 beschließt die Bundesregierung südvietnamesische Flüchtlinge aufzunehmen. Rund 38.000 Bootsflüchtlinge einschließlich ihrer Familienangehörigen erreichen bis Ende 1984 die BRD. Die Neuankömmlinge erhalten seitens der Bundesregierung eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, Sprachförderung, berufliche Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung, Bafög, soziale Beratung und Betreuung.


Acht Monate sind mittlerweile vergangen, seitdem Tri Tin Vuong seine Heimat und seine Familie verließ. Seine erste Bleibe im fremden Deutschland ist das Erstaufnahmelager in Unna-Massen. 

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Tri Tin mit Freunden aus dem Jugendwohnheim
Schulzeit am Gymnasium in Königswinter

Die Hilfsbereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums am Petersberg in Königswinter geht weit über den Unterricht hinaus.

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Nach dem Abitur beginnt der junge Vietnamese eine Lehre als Industriekaufmann, die er mit Erfolg abschließt. „Ich wollte immer weiterkommen“, sagt er. „Ich habe gemerkt, wenn man in Deutschland etwas erreichen will, muss man sich immer weiter entwickeln.“

In seinen Anfangsjahren erlebt Vuong vieles Wertschätzende und Unterstützende. Anfeindungen gegenüber reagiert der junge Buddhist mit der ihm eigenen Gelassenheit.

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Vuong beantragt die Familienzusammenführung. Da er zu jener Zeit noch keine 18 Jahre alt ist, erhalten die Eltern eine Aufenthaltserlaubnis und können nach Deutschland einreisen. Trotz Unterstützung und Sprachförderung fällt es ihnen auch nach Jahren noch schwer, sich in der neuen Umgebung heimisch zu fühlen.

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Ein Abschied für immer. Zum letzten Mal sieht Vuong 2012 seine Eltern am Flughafen von Saigon.
Ein Abschied für immer. Zum letzten Mal sieht Vuong 2012 seine Eltern am Flughafen von Saigon.

3. Leben in Landau

Seit vielen Jahren ist Landau an der Südlichen Weinstraße für Vuong ein lieb gewonnes Zuhause. Der vielseitig interessierte Wahlpfälzer möchte mitgestalten, etwas bewegen. Da er sich bereits seit seiner frühen Jugend für Politik interessiert, entschließt er sich für die Mitgliedschaft in einer Partei. Wenn auch zunächst mit gemischten Gefühlen.

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Die Vietnamesen gelten als Musterbeispiel gelungener Integration. Was macht für Vuong eine gelungene Integration aus?

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Dabei sind das Erlernen der Sprache und der Kultur für Vuong die Voraussetzung für Chancengleichheit und Akzeptanz in der neuen Heimat.

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Fühlt sich der engagierte Landauer nach über 30 Jahren in Deutschland integriert?

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Sein Hobby, das ihn in der wenigen Freizeit zwischen Arbeit und Studium an der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie in Karlsruhe erfüllt, ist die Malerei.

Bild mit Titel: Going out Candle
Gemälde: Ha Long Bucht (Nordvietnam)

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Tri Tin Vuongs gesamten Erinnerungen an die Flucht über den Ozean des Ostens sind in der gleichnamigen Anthologie zu lesen.

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