Die Kinder der Migration – los ninos de la migración
Als ihre Väter und Mütter nach Deutschland kamen, waren sie noch Kinder oder noch gar nicht geboren. Die Lebensplanungen ihrer Eltern war auf eine überschaubare Zeit ausgerichtet.
»Ich kam mit sechs Jahren nach Deutschland. Das Land war mir fremd, meine Eltern waren mir fremd und ich kam mir hier so fremd vor. Ich wollte nur nach Hause, zu meiner lieben Oma, die mich aufgezogen hat. Ich wollte weg.«
— Miguel F.
Bilder der Familie:
»Lass' uns nur ein paar Jahre aushalten, dann haben wir das nötige Geld zusammen. Doch es reichte nie. Die Rückkehr meines Vaters verschob sich immer wieder.« (Miguel F.)
In dieser ersten Phase der staatlichen Anwerbung blieben die Kinder meist in Spanien bei ihrer Mutter oder den Großeltern zurück. Mit der steigenden Aufenthaltsdauer der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch rückte ab 1965 zunehmend das Problem der Familienzusammenführung in den Fokus der staatlichen Behörden. Allein 95% der verheirateten Frauen folgten bis 1968 Ihren Männern in die neue Heimat [1].
War die Anpassung an ein fremdes Land bereits eine Herausforderung für manchen Erwachsenen, so mag man sich die Situation für die Kinder kaum vorstellen. Herausgerissen aus ihrem heimatlichen Umfeld, standen sie oft vor enormen Schwierigkeiten. Kinder im Vorschulalter konnten sich noch am besten in die neue Situation einleben. Den Schulpflichtigen fiel es dagegen schwer, sich zurechtzufinden. Wer die Sprache nicht sprach, fühlte sich ausgegrenzt und unerwünscht.
»Ich fühlte mich minderwertig, weil ich als anders angesehen wurde. Wir waren alle Spaghettifresser, obwohl wir eigentlich Spanier waren.«
— Miguel F.
Die Mainzer »Allgemeine Zeitung« schrieb am 3.1.1978:
»Wer dabei auf der Strecke blieb, waren wieder einmal die Kinder. Entweder sie blieben gleich in Spanien, wurden bei Verwandten großgezogen und hatten kaum noch Verbindung zu ihren Eltern. Oder sie kamen mit nach Deutschland, konnten in der Schule kaum dem Unterricht folgen und stehen jetzt ohne Schulabschluss hoffnungslos auf dem Abstellgleis.« [Allgemeine Zeitung, Mainz, 3.1.1970]
In einem Bericht eines staatlichen Schulamts hieß es zur schulischen Situation der ausländischen Kinder:
»Von 637 Ausländerkindern besuchten 405 die Grundschule, 177 die Hauptschule, 5 die Realschule, das Gymnasium 0. Der Rest verteilt sich auf Sonderschulen für Lernbehinderte oder sogenannte »Internationale Klassen«, in denen Lehrer die Kinder aller Nationen für den deutschsprachigen Normalunterricht vorbereiteten.« [Kreisarchiv Heilbronn]
Ohne die nötigen Voraussetzungen waren die Kinder ausländischer Arbeitnehmer in einen neuen Lebensabschnitt gestartet. Der schulische Alltag war unter diesen Voraussetzungen kaum zu meistern. Um der deutschen Schulpflicht – die erst ab 1965 auch für ausländische Kinder Gültikeit besaß – dennoch Genüge zu tun, kamen viele Kinder in die nächste Jahrgangsstufe, auch wenn kaum eine Chance auf einen Schulabschluss bestand. In den Zeugnissen hieß es dann »… in allen sprachlichen Fächern wegen nicht genügender Deutschkenntnisse keine Benotung erteilt.«
Mit keinem oder nur einem schlechten Schulabschluss blieb ausländischen Jugendlichen in jenen Jahren eine berufliche Ausbildung versagt, die Ausübung ungelernter Hilfsfarbeiten waren die Folge.
Asociaciones Españolas de Padres de Familia – Spanische Elternvereine
Spanische Eltern standen vor einer verzweifelten Situation. War man nicht nach Deutschland gekommen, damit es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird? Sollte aus ihren Kindern eine verlorene Generation heranwachsen?
Bereits in den 1960er Jahren gab es vereinzelte Anstrengungen, die schulischen Leistungen der spanischen Migrantenkinder zu fördern. Der spanische Staat sandte Lehrkräfte für nationalsprachigen Unterricht nach Deutschland. Spanische Katholische Missionen, Sozialarbeiter und deutsche Unterstützer unternahmen gemeinsame Anstrengungen, die schulischen Leistungen in Form eines zusätzlichen Unterrichts für spanische Kinder zu verbessern. Unter der Bezeichnung »Spanische Elternvereine« gründeten sich überall Selbsthilfeorganisationen. Die mobilisierende Idee bestand nicht nur im Wunsch, den Kindern die spanische Sprache und Kultur näher zu bringen, sondern sie auch für das deutsche Bildungssystem fit zu machen [2].
Der Erfolg der Vereine mündete im November 1973 über alle ideologischen und politischen Gegensätze der spanischen Migrantengruppen hinweg in der Gründung des »Bundes Spanischer Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland e.V.« Ende der 1970er Jahre gab es schon mehr als 100 spanische Elternvereine. Ihre gemeinsame Kraftanstrengung zahlte sich aus. Anfang der 1980er Jahre hatten bereits 75% der spanischen Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen [Artikel in der Heilbronner Stimme]. Auch über die kommenden Jahrzehnte hinweg gehörten die Schulergebnisse der spanischen Kinder zu den Besten innerhalb aller Migrantengruppen [3].
Die Bildungserfolge führten nicht nur zu neuem Selbstbewusstsein sondern auch dazu, dass spanische Migrantinnen und -migranten heute als integriert gelten.
»Wir wussten nun, wir waren anders, aber deshalb nicht minderwertig. Mit der nötigten Anstrengung sind wir aufgestiegen, wir haben die deutsche Sichtweise verändert.«
— Miguel F.
Quellenangaben
- Axel Kreienbrink-Herrero: Aspectos da inmigración española, portuguesa e iberoamericana en Alemaña, S. 109–129, in Estudios Migratorios, No. 10, Santiago de Compostela 2000.
- Vincente Riesgo Bund der Spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Deutschland e.V. In: Zum gesellschaftlichen Engagement von Migrantinnen und Migranten Fachtagung am 11. Juni 2002 in Bonn Dokumentation, Bonn, 2003.
- Bierbach, Christine/Birken-Silverman, Gabriele (2003): Italienische und spanische Migranten in Südwestdeutschland – »vicini, ma diferentes«. In: Jürgen Erfurt,G. Budach/S. Hofmann (Hg.): Mehrsprachigkeit und Migration. Ressourcen sozialer Identifikation. (Sprache, Mehrsprachigkeit und sozialer Wandel, 2). Frankfurt/M.: Peter Lang. S. 77–99.