Die Reise ins Unbekannte

Vom Hörensagen und aus Zeitungsberichten erschien Deutschland als das verheißene Land. Hier warteten das Geld, die Freiheit und die Unabhängigkeit. Aus allen Landesteilen kamen die Menschen nach Athen, um sich von der Deutschen Kommission »mustern« zu lassen. Die Anwerbung griechischer Frauen und Männer für die arbeiterhungrige deutsche Wirtschaft verlief so, wie man es in allen Anwerbestaaten rund um das Mittelmeer beobachten konnte. Von den Anwerbekommissionen in Athen und Saloniki wurden die Arbeitswilligen auf die Reise geschickt. Manch einer hat sich im Nachhinein vom eigenen Land, das nach Devisen lechzte, verkauft gefühlt. Neben dem Nötigsten im Koffer brachten die neuen Arbeiterinnen und Arbeiter vor allem die »Nostalgia« mit in das Land diesseits der Alpen:

»Der Zug fährt ab und pfeift ständig, wie ein Klagelied, Trostlos beklage ich mein Schicksal. Warum kann meine Heimat ihre Kinder nicht ernähren? Sie haben uns verkauft, Sie quetschen uns aus und werfen uns weg, hier, wo wir aus dem Leben ausgesperrt sind. Ich fühle eine schwere Müdigkeit in meinem Körper und im Herzen, Lass mich für immer schlafen«[1].

Beispiel eines Arbeitsvertrages, 1962
Die Freikarte nach Deutschland: Der Arbeitsvertrag. Dieses Dokument war für die griechischen Arbeitsmigranten genauso wichtig wie der Pass mit dem Visum.

Für die Reise von Griechenland nach Deutschland waren eigene Eisenbahn- waggons reserviert; große Reisegruppen wurden in eigenen Sonderzügen befördert. Auf Wunsch der griechischen Regierung stimmte man einer Sonder- regelung zu: Im Winter fuhren die Arbeiterinnen und Arbeiter per Eisenbahn über Jugoslawien in Richtung Norden, in den Sommermonaten ermöglichte man den Arbeitswilligen aus dem Süden des Landes die Überfahrt per Schiff von Piräus via dem italienischen Brindisi. Von dort erfolgte die letzte Etappe mit dem Zug.

Die griechische Regierung sah am Anfang den Landtransport über Jugoslawien kritisch; man befürchtete, dass die griechischen Arbeiter auf der Strecke durch ein kommunistisches Land infiltriert würden. Aus wirtschaftlichen Gründen jedoch beharrte die deutsche Seite auf dem Transport über Jugoslawien [2].  

Ein Tag und zwei Nächte dauerte die Fahrt mit dem Zug. Vorbei an den weiten Ebenen Jugoslawiens und über die hohen Alpen Österreichs erreichten die Ausreisenden mit ihrer dürftigen Habe die deutsche Grenze. Viele der Reisenden ohne gültigen Arbeitsvertrag hofften, auf gut Glück oder durch ein alternatives Studenten- oder Touristenvisum einzureisen. Wer dem strengen Auge der Grenzbeamten nicht entging, wurde zurückgeschickt. Durch Beharrlichkeit oder dank eines Familienmitglieds, das schon in Deutschland arbeitete, fanden sie häufig zu einem späteren Zeitpunkt ihren Weg auf den hiesigen Arbeitsmarkt. Um die Grenze diesmal erfolgreich zu passieren, wählte man eine eigene Taktik: Man wartete geduldig an der deutschen Grenze und ließ sich vom Bruder, Cousin oder Onkel, die schon in Deutschland lebten, abholen[3].

Auf der Fahrt wurden die Angeworbenen mit deutscher Gründlichkeit versorgt. »Den ausländischen Arbeitnehmern wird für die Reise bis zur Weiter- leitungsstelle im Bundesgebiet eine reichliche Reiseverpflegung in hygienischer Verpackung ausgehändigt, die der Geschmacksrichtung des jeweiligen Anwerbelandes angepasst ist. Die Reiseverpflegung wird in gewissen Zeitabständen unter Einschaltung der Ärzte bei den Deutschen Kommissionen bzw. den Deutschen Verbindungsstellen auf Zusammen- setzung, Menge und Qualität geprüft« [4].

Die Sammelfahrten der griechischen Arbeitnehmer endeten in München. Von dort aus ging es weiter in Richtung Mainz, Koblenz oder Ludwigshafen[5].

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Quellenangaben

  1. www.migrationsroute.nrw.de
  2. ANBA, 1965 S. 10 f., vgtl a. Gogos 2005 S. 823
  3. Alexandridis, 2008, S. 56
  4. ANBA, 1965 S. 10 f.
  5. ANBA, 1965 S. 10 f.