Anwerbestopp

Zeigte sich zu Beginn der 1960er Jahre die deutsche Wirtschaft noch von sehr optimistischer Seite, zogen mit voranschreitendem Jahrzehnt langsam die dunklen Wolken des Umbruchs und der Krise auf. Mit dem Bau der Mauer und der Schließung der Grenzen erfuhr am 13. August 1961 der Ost-West Konflikt seine Eskalation. Kuba-Krise, Spiegel-Affäre, Studentenrevolten und Vietnam-Krieg waren die schicksalhaften Schlagworte eines Jahrzehnts.

Gastarbeiter in ihrer Wohnung (1973)
Gastarbeiterfamilie in ihrer Wohnung. © Bundesarchiv

Erstmals kommt es seit Bestehen der Bundesrepublik von März 1966 bis Mai 1967 durch die sinkende Arbeitsproduktivität zur Rezession. Grund war der Rückgang der privaten und öffentlichen Investitionsnachfrage. Die Entwicklung wirkte sich auch spürbar auf den Arbeitsmarkt aus. Nach den Zahlen aus dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von 1967 heißt es:

»Derart scharf und umfassend wie in der Bundesrepublik zwischen Herbst 1966 und Frühjahr 1967 ist nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachfrage noch in keinem der großen westeuropäischen Industrieländer zurückgegangen. Während der Abschwungphasen der vorangegangenen drei Wachstumszyklen wurde in der Bundesrepublik zwar in einzelnen Bereichen die Produktion gedrosselt; im Ganzen aber hatte sich lediglich das Expansionstempo abgeschwächt. Im ersten Halbjahr 1967 lag das reale Bruttosozialprodukt, das bereits im zweiten Halbjahr 1966 nicht mehr gewachsen war, um fast 2 v. H. unter dem entsprechenden Vorjahresstand. Im Spätsommer 1967 unterschritt die Industrieproduktion noch den vergleichbaren Stand von 1965. Im ersten Halbjahr 1967 waren bei den Arbeitsämtern fast 300.000 mehr Arbeitslose gemeldet als ein Jahr zuvor; die Zahl der Erwerbstätigen war sogar um 800.000 niedriger. Der Mangel an inländischer Nachfrage hat außenwirtschaftliche Überschüsse von bisher nicht erlebtem Ausmaß hervorgerufen (...).«

Zeitungsausschnitt »Gastarbeiter-Welle ist vorerst gestoppt« (1973)
Trierischer Volksfreund am 24.11.1973. © Stadtarchiv Trier
Zeitungsausschnitt »Bonn stoppt Zustrom von Gastarbeitern« (1973)
Die Rheinpfalz am gleichen Tag. © Stadtarchiv Ludwigshafen

In Folge der wirtschaftlichen Rezession ging alleine zwischen 1966 und 1969 die Ausländerbeschäftigung um rund ein Drittel auf 0,9 Millionen zurück  

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als Folge der sich verschlechternden Wirtschaftslage sowie die Ölkrise, die durch rasant steigende Ölpreise seit Oktober 1973 zu einer Weltwirtschaftskrise gipfelte, veranlasste das Bundeskabinett zur Verfügung des Anwerbestopps.  

Damit sollte der Zustrom von »Gastarbeitern« aus Nicht-EG-Staaten unterbunden werden. Für viele ausländische Arbeitskräfte mag der Anwerbestopp den Anstoß für die Entscheidung gegeben haben, längerfristig in Deutschland zu bleiben. Denn mit dem Anwerbestopp war es nicht mehr möglich, lediglich für einen begrenzten Zeitraum in die Heimat zurückzukehren, um nach einer Weile wieder in Deutschland arbeiten zu können. Als Folge entwickelte sich Deutschland ungewollt zum Einwanderungsland.  

Mit dem Anwerbestopp am 23. November 1973 endete die erste Phase der Zuwanderungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland.

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