Ankommen mit der »Nostalgia« im Gepäck

Nach ihrer Ankunft in München wurden die Griechinnen und Griechen von den Mitarbeitern der Weiterleitungsstellen empfangen. Von Gleis 11, das die Italiener »Gleis der Hoffnung« nannten, brachte man die Ankömmlinge in einen Luftschutzbunker, wo sie endlich eine warme Mahlzeit und häufig schon erste Nachrichten aus der Heimat erhielten. Auch Zeitungen in griechischer Sprache standen zur Verfügung. In den Weiterleitungsstellen richteten die deutschen Banken Wechselstuben ein, die Drachmen bereitwillig in D-Mark umtauschten. Für die Weiterfahrt wurden Fahrkarten nach Mainz, Koblenz, Ludwigshafen oder Trier ausgestellt und Reiseverpflegung verteilt. Beamte der Arbeitsämter halfen den neuen »Gastarbeitern« an den Zwischenstationen beim Umsteigen und erwarteten sie mit Dolmetschern am Reiseziel [1]. Das kalte Wetter war der erste Schock, der den Neuankömmlingen in die Glieder fuhr.

Ankunft der Gastarbeiter

»Ich erinnere mich, ich hatte leichte, himmelblaue Espadrillos an den Füßen, aus Stroh geflochten bei der Sohle, bei uns war es im Juni ja schon warm, dann bin ich hier am Bahnhof gleich in eine Pfütze getreten und habe meine Schuhe kaputt gemacht. Viel gefroren habe ich«, erzählt Viktoria Rothacker-Moschopoulou [2].Die griechischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten wurden in Deutschland auf drei maßgebliche Bundesländer verteilt. 35% fanden in Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsplatz, nach Baden-Württemberg zog es 26% und nach Bayern 10%. Geringe Arbeitsunterstützung wurde in Rheinland-Pfalz benötigt. Die Landeshauptstadt Mainz forderte hauptsächlich in den Jahren 1962 und 1965 griechische Hilfe an. 1978 lebten 520 Personen mit griechischem Pass in Mainz und den umliegenden Gemeinden [3]. Um der Heimat ein Stück näher zu sein, avancierten Bahnhöfe zu einem beliebten Treffpunkt. Von hier aus fuhren die Züge nach Hause und brachten im Gegenzug Landsleute aus der Heimat mit. Mangels Alternativen verbrachte man hier seine Freizeit, traf sich mit anderen Griechen, las die griechische Presse und schaute mit Wehmut den Zügen hinterher. Gelegentliche Telefonate nach Griechenland machten die »Nostalgia« für einige Minuten erträglicher, nur damit sie noch stärker wieder aufflammte, sobald der Hörer aufgelegt wurde [4]. Bald wurde der Treffpunkt »Bahnhof« gegen eigens organisierte Vereine eingetauscht. Sportvereine rangierten an erster Stelle, sodass bis 1965 bereits 80 griechischen Fußballmannschaften eine treue Fangemeinde zur Seite stand [5]. Die Sehnsucht nach der Heimat, nach einem Stück Zuhause, wurde in griechischen Kulturvereinen und griechisch-othodoxen Gemeinden gestillt. Auch im deutschen Schlager fand das Heimweh der Hellenen seinen Einzug. In »Griechischer Wein« besingt Udo Jürgens eben diese Nostalgie, die in einer griechischen Kneipe oder Vereinshaus in Deutschland gestillt wurde und schuf einen der erfolgreichsten Titel des Schlager-Genres:  »Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde. Komm‘, schenk dir ein und wenn ich dann traurig werde,  liegt es daran, dass ich immer träume von daheim; Du musst verzeih‘n. Griechischer Wein, und die altvertrauten Lieder. Schenk‘ noch mal ein! Denn ich fühl‘ die Sehnsucht wieder; in dieser Stadt werd‘ ich immer nur ein Fremder sein, und allein« [6].Bereits 1965 wurde der Verband der Griechischen Gemeinden (OEK) gegründet, der Bundesweit über 140 Gemeinden umfasste [7]. Den Höhepunkt der Vereinsgründungen bildete die Zeit der Militärdiktatur in Griechenland (1967–1974). Nicht selten schloss man sich zusammen, um den Widerstand zur Diktatur zu zelebrieren [8]. Während der Zeit der Obristen empfanden sich die Griechen in Deutschland als Bollwerk gegen die Diktatur. Der Journalist Basil Mathiopolus, der während der Juntazeit für die Deutsche Welle arbeitete, schrieb damals, die Auslandsgriechen hätten die Rolle der Garanten, durch die Griechenland, die Wiege der Demokratie, bald wieder zur demokratischen Grundordnung zurückkehren müsse [9].

Grieichischer Gastarbeiter bei schwieriger Arbeit
Viele Arbeitsmigranten verdienten ihren Lebensunterhalt in Branchen, die schwere körperliche Arbeit erforderte.

Vor allem unqualifizierte Arbeitskräfte mussten sich mit dem zufrieden geben, was sie zugeteilt bekommen haben. Trotz der schwierigen Arbeitsverhältnisse kamen jeden Tag immer mehr Arbeitswillige. 1962 verzeichnete das Arbeitsamt Ludwigshafen einen vorläufigen Höchststand der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte. 5.600 verkündete der damalige Direktor des Ludwigshafener Arbeitsamtes gegenüber der Tageszeitung »Rheinpfalz«. Die Griechen lagen dort an zweiter Stelle nach den Italienern und stellten eine tausend Mann starke Arbeitstruppe [Rheinpfalz 1962]. Die Arbeitsdauer betrug im Schnitt 42 bis 45 Stunden pro Woche, was die griechischen Arbeiter nicht störte. Oft wollten sie sogar den Betrieb wechseln, falls es nicht möglich war, Überstunden zu machen. In Deutschland lebte man am Anfang nur, um zu arbeiten [11].

Die griechischen Arbeitnehmer wurden hauptsächlich in der Eisen- und Metallbranche und natürlich in der allgemeinen industriellen Produktion beschäftigt. Einer der größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz war die BASF. Über tausend Griechen fanden bis 1975 dort einen Arbeitsplatz.

Auch in Handel, Verkehr und Dienstleistungen unterstützten ihre fleißigen Hände die florierende deutsche Wirtschaft. In der für viele Migrantengruppen so typischen Baubranche war die Anzahl der Griechen relativ gering [12].

Personalstatistik
Personalstatistiken.

Die deutschen Fabriken, vor allem die Großindustrie, kam den Griechen, die oft direkt vom griechischen Bauernhof in die riesigen Produktionshallen deutscher Autoindustrie kamen, wie ein Wunder vor [13]. Verwirrung bei den deutschen Kollegen hingegen hat bestimmt die griechische Sprache hervorgerufen. Das griechische »nein« heißt »ochi« und »ja« heißt »näh«, was leicht als das umgangssprachliche »nee« missverstanden wurde. Auch bei Gesten mussten die deutschen Kollegen und Arbeitgeber aufpassen: Ein Zurückwerfen des Kopfes nach hinten bedeutet »Nein!«. Eine Bewegung, dem klassischen »Ja!«-Kopfnicken zum verwechseln ähnlich [14].

Familie Malatun in ihrer Wohnung

Die Wohnungssuche für die Neuankömmlinge stellte eine große Hürde dar. Wenn sie nicht in Baracken, provisorischen Unterkünften und Arbeiterwohnheimen untergekommen sind, mussten sie sich ein eigenes Zimmer suchen. Das war schwieriger als man annehmen konnte. Die deutschen Vermieter hegten am Anfang einige Vorurteile gegen die »Gastarbeiter«. Die Vermieter beklagten sich über Mangel an Sauberkeit bei den Griechen, vor allem bei Männern. Viele fanden deswegen Unterschlupf nur in heruntergekommenen und überteuerten Wohnungen [16]. 


»Die Deutschen waren wohl der Meinung, dass die Ausländer ihnen die Wände abreißen würden. Aber nachdem die gesehen haben, dass die Ausländer auch Menschen sind, auch ganz normal wohnen, war die Sache ganz anders«, so der Grieche Costas Alexandridis [17].

Tatsächlich leisteten sich die Griechen, vor allem wenn die Familie nachzog, im Vergleich zu anderen Migrantengruppen teurere Wohnungen, wie aus einem Bericht der Mainzer Stadtverwaltung aus dem Jahr 1974 hervorgeht [18].

Eine Gemeinschaftsunterkunft
Arbeiterunterkünfte bei der BASF, Werner Metzger: Das zweite Zuhause.

Die Betriebe stellten ebenfalls eine Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung. Aus dem heimischen, familiären Umfeld ging es direkt in Arbeiterheime und Gemeinschaftsunterbringungen. Auf einem Zimmer wohnten mehrere Personen zusammen. Vier Betten, eine Küche und eine Dusche für 4 bis 6 Menschen. Für die kärgliche Freizeit konnten es sich die Einwohner in dem Aufenthaltsraum gemütlich machen. Wenn sie Glück hatten, gab es dort ein Fernsehgerät. Doch die Bewohner mussten sich auch strengen Regeln unterziehen. Besucher konnten nur in Besuchsräumen empfangen werden, die Heime hatten feste Öffnungszeiten. In besonders extremen Fällen wurde das Licht zum »Zwangsschlaf« ausgeschaltet. Die Miete in solchen Wohnheimen betrug etwa 50 DM, während man für eine Wohnung oft zwischen 100 und 150 DM zahlen musste. Bei einem Monatsverdienst von wenigen 100 DM ein wahres Kunststück.

Gastarbeiter kochen in den Gemeinschaftsunterkünften
Aus der Küche der Gemeinschaftsunterkünfte dringen verführerische Düfte exotischer Gerichte, Werner Metzger: Das zweite Zuhause.

Die preisgünstigste, aber unwürdigste Unterkunft boten Baracken und Waggons. Hier lebten die griechischen Arbeiter unter elenden Verhältnissen. Besonders Bauarbeiter fanden in solchen »Provisorien« Unterschlupf. Für die Bauherren war nicht die Unterbringung der Arbeiter das entscheidende, sonder der schnelle Aufbau der Infrastruktur um die Baustelle [19].

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  1. ANBA, 1965 S. 12 vgl. a. Gogos 2005, S. 823
  2. Sedler 2003, S. 54
  3. Schaumburg 1978
  4. Kladas 1965, S. 49
  5. Kladas 1965, S. 49
  6. Udo Jürgens: Griechischer Wein
  7. Gogos, 2007, S. 185
  8. Gogos, 2007, S.186
  9. Columas 2008, S. 259
  10. Alexandridis, 2008, S. 55
  11. Kladas 1965, S. 27
  12. Ziegler, 1975 S. 131
  13. Alexandridis, 2008, S. 55
  14. Buchloh, 1974 S. 19
  15. Kladas, 1965, S. 10
  16. Alexandridis, 2008, S. 55, Kladas 1965 S. 33
  17. Alexandridis, 2008, S. 55
  18. Schaumburg 1978
  19. Kladas 1965, S. 33