Der Millionste »Gastarbeiter«
»Der lange Zug glitt in die Bahnhofshalle zu Köln-Deutz. Aus dem Lautsprecher dröhnte die Aufforderung, der Zimmermann Armando Sá Rodrigues aus dem nordportugiesischen Dorf Vale de Madeiros möge sich melden. Als der Gesuchte nach mehrmaligem Aufruf verschüchtert aus der Menge seiner 1200 schwadronierenden, mit Pappkoffern und Schachteln bewehrten Landsleute hervortrat, schmetterte eine Blechkapelle ‚Wem Gott will rechte Gunst erweisen‘ und ‚Alte Kameraden‘ unter das rußige Bahnhofsdach.« [1]
Das Foto des millionsten »Gastarbeiters« Armando Rodrigues de Sá ging um die Welt: Müde und verlegen posierte der Portugiese am 10. September 1964 mit seinem Willkommensgeschenk, einem Mokick der Marke Zündapp.
Zu diesem Zeitpunkt war die in der Presse schnippisch beschriebene »Völkerwanderung zu Westdeutschlands Lohntüten« [2] bereits neun Jahre alt. Davor hatte die Bundesrepublik Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und Marokko abgeschlossen. Am 17. März 1964 kam ein weiteres Land dazu: Portugal. Vom unterzeichneten Vertrag versprach man sich, die Gewinnung von Arbeitskräften für den scheinbar unersättlichen westdeutschen Arbeitsmarkt noch weiter zu steigern. Der Beginn verlief jedoch schleppend. Im Millionenheer der Arbeitsmigranten in Deutschland befanden sich im Herbst desselben Jahres gerade einmal 4.636 Portugiesen [3].
Auch später blieben die portugiesischen Zuwanderungszahlen immer hinter denen der anderen großen Einwanderergruppen zurück [4]. So reisten von 1964 bis 1973 lediglich 169.000 Personen aus Portugal nach Deutschland ein [5].
Allein schon aus dieser Tatsache heraus war die portugiesische Migrationsgeschichte in Deutschland nie Anlass für breit angelegte Untersuchungen. Dabei ist sie »als älteste historische Konstante in der portugiesischen Geschichte« [6] besonders interessant: Kein anderes Land hat, gemessen an seiner Bevölkerung, eine größere Auswanderung an Einwohnern erfahren.
Aktuell leben mehr als 4,5 Millionen Menschen mit portugiesischem Hintergrund in einer Art Diaspora, was etwa 40 Prozent der portugiesischen Staatsbürger ist [7]. Und die Abwanderung hält weiter an. Die aktuelle ökonomische Krisensituation lässt die Auswandererzahlen wieder ansteigen. Sei es nach Übersee, nach Afrika oder nach Europa. Auch Deutschland wird als Migrationsland wieder attraktiv: Nach ruhigen Jahrzehnten nimmt auch hier die Zahl portugiesischer Migranten wieder zu.
Anlass genug die letzten 50 Jahre deutsch-portugiesischer Migrationsgeschichte mit einer Sonderausstellung zu beleuchten.
Quellenangaben
- Der Spiegel, 41/1964, „Per Moneta“, S. 44-58, S. 44. In vielen historischen Berichten ist die Schreibweise des Familiennamens falsch wiedergegeben. Korrekt ist: Armando Rodrigues de Sá.
- Ebd. S. 44.
- Bundesanstalt für Arbeit (Hg.), Ausländische Arbeitnehmer, Beschäftigung, Anwerbung, Vermittlung, Erfahrungsbericht 1972/73. Nürnberg 1974, S. 114.
- Vgl. dazu Sonderausstellungen auf www.lebenswege.rlp.de/sonderausstellungen/
- Embaixada de Portugal em Berlim, Departamento Social (Hg.): Análise estatística, Comunidade Portuguesa na Alemanha 2001, Berlin 2002, S. 3. Andere Quellen geben andere Zahlenwerte an. Dort werden für den Zeitraum 1964 bis 1974 164.800 Migranten, bei 51.000 Rückwanderern angegeben. Siehe: www.angekommen.com/iberer/Lexikon/landber.htm, Stand 09.08.2014.
- RTP, »Ei-los que partem«, A História da Emigração Portuguesa - Uma série documental que nos obriga a reflectir sobre a nossa identidade e o nosso lugar no mundo, S. 1 – 13. In: tv.rtp.pt/programas-rtp/index.php, Abruf 1.2.2012. S. 1.
- Ebd.