Auf der Suche nach dem besseren Leben

Das Wachstum der griechischen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg reichte nicht aus, um die gesamte Bevölkerung zu beschäftigen. Die Zahl der Arbeitslosen ging stark auseinander. 1961 meldete die griechische Regierung der UNO eine Zahl von knapp 80.000 Arbeitslosen. Andere Quellen – zum Beispiel eine Untersuchung der Europäischen Gemeinschaft – sprechen für dieses Jahr von 240.000 Arbeitslosen [1]. Besonders auf dem Land herrschte ein hohes Maß an Unterbeschäftigung, was zu Notständen und einem geringen Lebensstandard führte. Aber angesichts mangelnder Alternativen blieben viele auf dem Land. Schließlich war dort durch Eigenanbau wenigstens die Grundversorgung gesichert. Als Mitte der 1950er Jahre Belgien und 1960 auch Deutschland ihre Tore für griechische Arbeitsmigrantinnen und -migranten öffneten, wurde plötzlich eine Alternative sichtbar[2].

Gleise in Griechenland
Für viele bot das deutsch-griechische Anwerbeabkommen einen Weg
aus der Armut.

Von der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens profitierten sowohl Griechenland als auch Deutschland. Die griechische Regierung erhoffte sich von den Emigranten den unbedingt benötigten Zufluss von Devisen, um den Staatsbankrott abzuwenden, aber auch, um die wirtschaftliche Situation und hohe Arbeitslosigkeit in den nördlichen Provinzen zu entlasten. Dort befanden sich die Armenhäuser Griechenlands. Als in den 1950er Jahren die Tabakindustrie in die Krise geraten war, verloren hunderttausende ihren Arbeitsplatz.

Alter Herr vor dem Haus

Ganze Landstriche waren von der Tabakindustrie abhängig, und das Agrarland Griechenland konnte die Masse der Arbeitslosen nicht bewältigen. Im Norden Griechenlands gibt es heute kaum eine Familie, in der nicht mindestens ein Mitglied ausgewandert ist. Von 10 Millionen Griechen hat zumindest auf Zeit jeder Dritte das Land verlassen [3].

Der griechische Odysseus auf der Suche nach einem besseren Leben

Athanasios Tsantarbiotis (54) lebte vier Jahre in Deutschland. Als er nach Griechenland zurückkehrte, hatte er genug gespart, um sich ein kleines Grundstück zu kaufen. Das Geld für das Grundstück hätte er mit seiner Taverne auch in Griechenland erarbeiten können, meint Athanasios Tsantarbiotis. Nach Deutschland ist er nicht aus Not gegangen, behauptet der Kneipenbesitzer. Es war die Xenomanie, die Sehnsucht nach dem Fremden, die ihn ins Ausland getrieben habe [Der Spiegel 49/1971, S.118 ff]. So wollte auch die Militärjunta in Griechenland die Auswanderung verstanden wissen, als Abenteuerlust. Daher verwundert die Aussage des griechischen Arbeitsministers Manolopolus nicht, der in der Zeitschrift »Der Spiegel« 1971 kundtat:

»Der Grieche war stets ein Odysseus und nach wie vor reizt ihn die Fahrt ins Unbekannte, die Suche nach einem besseren Leben und nach einem neuen Schicksal, die Entdeckung neuer Welten. Man wandert nicht mehr aus, um das große Geld zu machen, sondern weil‘s Mode ist.« [Der Spiegel 49/1971, S.118 ff]

Doch es war nicht nur die Xenomanie alleine, die Millionen aus Europas Süden zur Arbeitsmigration in den Norden getrieben hat. »Jemand kommt zurück und bringt Geld mit und das wollen die anderen dann auch. Jeder will noch mehr, es ist ein Wettlauf um das größte Sparschwein« [Der Spiegel 49/1971, S.118 ff], erzählte Charalambos Galanidis, ebenfalls Kneipier mit Deutschland-Erfahrung aus dem griechischen 4000-Seelen-Dorf Agios Athanasios [Der Spiegel 49/1971, S.118 ff].

Kinder der Familie Malatun im Auto
Sich etwas leisten können war die Antriebsfeder vieler, Arbeit auf Zeit
in Deutschland zu suchen.

Das Geldverdienen war der häufigste Grund in den 1960er und 1970er Jahren, die Heimat zu verlassen. Dabei ging es weniger um die Sicherung der Existenz, als vielmehr um eine Optimierung der wirtschaftlichen Situation. Bei einer Umfrage im Dezember 1964 gaben nur 12% von 9.400 Griechen, die über die Feiertage ihre Heimat besuchten an, vor der Auswanderung arbeitslos gewesen zu sein [4].


»Ein Nachbarsjunge war vor mir nach Deutschland gekommen. Er wollte Geld für ein Haus sparen. Mutter, hat er gesagt, in Deutschland ist viel Geld, man muss es nur wollen, […] die warten schon mit Geld am Bahnhof auf uns. Wie konnte man aber auch nur so verrückt sein? […] Das waren damals aber unsere Hoffnungen, wissen Sie? Alle kamen wir mit Koffern voller Hoffnungen«, erinnert sich A.K., heute 74 Jahre alt [5].

Die ökonomische Situation war zwar maßgeblicher Beweggrund für die Auswanderung, doch waren die politischen Gegebenheiten nicht von der Hand zu weisen. Die meisten, die Griechenland verließen, kamen aus dem Norden des Landes. Aus Epirus, Mazedonien oder Thrakien. Provinzen, die schwer unter dem Weltkrieg, dem Bürgerkrieg und der politischen Unterdrückung gelitten haben [6].

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Quellenangaben

  1. Patiniotis 1979, S. 212 ff.2. Gogos, 2005, S. 8223. Vgl. Geck, 1979 S 40 f.4. Sedler 2003, S. 525. Vermeulen 2008 S. 19