Dr. Jörn Thielmann
»Angekommen und Daheim« – Türkeistämmige Muslimas und Muslime in Rheinland-Pfalz
50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei, unterzeichnet 1961. Damit kamen erstmals Muslime – Frauen wie Männer – in größerer Zahl nach Rheinland-Pfalz, besonders in die industrialisierten Städte und Kleinstädte, wie Mainz, Ludwigshafen, Kaiserslautern, Pirmasens, Frankenthal oder auch Bad Kreuznach. Aber auch Gewerbebetriebe auf dem Land heuerten muslimische »Gastarbeiter« an, wie das Beispiel des Lehrers Hüseyin Kaya zeigt, der jahrzehntelang in einer Polsterfabrik in Gensingen bei Bad Kreuznach arbeitete.
Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt schnell ein anderes Bild als das der »ungebildeten hinteranatolischen Gastarbeiter«. Seit der Zeit der Türkenkriege lebten Muslime vereinzelt in Deutschland als Kriegsgefangene oder »Mohren«, die im Zuge der Türkenmode hoch im Kurs standen. Die französische Besetzung des Rheinlandes (1918-1930) brachte muslimische Soldaten aus Nordafrika und dem Senegal u.a. nach Mainz, wo sich bis heute ihre Spuren durch islamische Grabsteine auf den Soldatenfriedhöfen finden lassen.
Bis in die 1950er Jahre waren Muslime in Deutschland gebildet, bürgerlich und studierten oft. Sie kamen aus dem Osmanischen Reich – darunter auch viele Araber, dem Iran oder auch vom indischen Subkontinent. Angelockt wurden sie von dem deutschen Universitätssystem, das zu der Zeit in vielen Fächern als das Beste der Welt galt. Solche muslimische Bildungsmigration gibt es natürlich bis heute und oft bleiben die Menschen nach dem Studium hier.
Die Kultur der muslimischen Migranten oder gar ihre Religion spielte zunächst überhaupt keine Rolle. Es gab auch – anders als für die christlichen Migranten aus Südeuropa – keine deutsche Organisation, die sich um ihre Belange und Nöte gekümmert hat, mit Ausnahme der sozialdemokratisch oder gewerkschaftlich Aktiven, die rasch eingebunden waren. Als Religion war der Islam bis zur Mitte der 1970er Jahre in Deutschland nahezu unbekannt und im alltäglichen Umgang tendenziell auch unproblematisch. So verwundert es nicht, dass die ersten gemeinschaftlichen muslimischen Festtagsgebete in christlichen Kirchen gehalten wurden. Prinzipiell erfuhren die muslimischen Migranten ihre Situation als Sein in der Fremde (türk. gurbet) und als eher bittere Erfahrung. Ihre Vereine waren meist in alten, baufälligen Häusern oder ehemaligen Gewerberäumen untergebracht, oft in trostlosen Umgebungen oder Nachbarschaften, die den Wertevorstellungen der Migranten widersprachen (z.B. Spielhallen, Nachtclubs oder Bordelle). Kontakte zu Deutschen gab es außerhalb der Arbeit kaum. Wertschätzung und Anerkennung als Individuen erfuhren die muslimischen Migranten in der Regel nur in ihrem Verein und der Moschee. Erst mit dem Familiennachzug nach dem Anwerbestopp 1973 traten Fragen des Islams oder kulturelle Eigenheiten langsam ins Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit, wobei die gleichen Probleme wie heute benannt wurden: Unterdrückung der Frauen, Bildungsferne, der wünschenswerte islamische Religionsunterricht in den Schulen und so weiter. Die Islamische Revolution im Iran 1979 und die 2. Intifada in Israel-Palästina fügte noch die Begriffe Fundamentalismus und radikaler Islam hinzu.
Nach dem 11. September 2001 ist der Wissensdurst allerdings gewachsen, auch die Politik hat reagiert. So weiß man nun, dass etwa vier Prozent der deutschen Muslime in Rheinland-Pfalz leben, also etwa 163.000 Personen (von ca. 4 bis 4,2 Mio.). Die Vielfalt muslimischer Organisationen ist beachtlich. Auch bringen sich Muslime stark in lokale Vereine ein. Mittlerweile gibt es sogar einen muslimischen Kindergarten in Mainz, der sich an Waldorf- und Montessori-Pädagogik orientiert und so ein klares Zeichen von Bildungs- und Integrationswillen setzt. Rheinland-Pfalz ist für viele Muslime Heimat, geworden, wie auch die Biographien in »Lebenswege«, dem Migrationsmuseum Rheinland-Pfalz im Internet, deutlich zeigen.