Kriege und Fluchten der Weltgeschichte.

Karriere im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als erfolgreicher Journalist gründete Emil Preetorius 1862 in St. Louis eine eigene Zeitung.

Die Geschehnisse und ihre Schrecken ähneln sich durch die Jahrhunderte


Flucht im 19. Jahrhundert – die „48er“ fliehen in die Neue Welt

Der Alzeyer Jurist Emil Preetorius steht stellvertretend für jene sogenannten „48er“, die infolge der gescheiterten, bürgerlich-demokratischen Märzrevolution von 1848/49 aus Europa flohen. Fortschrittliche Bürger hatten in dieser Märzrevolution versucht einen demokratisch verfassten, einheitlichen, deutschen Nationalstaat zu schaffen. Die deutschen Fürsten schlugen die Revolution jedoch militärisch nieder. Daraufhin drohten den Revolutionären in den Staaten des Deutschen Bundes aufgrund ihrer demokratischen Gesinnung schwere Strafen durch die monarchischen Machthaber.

Die politisch Verfolgten fanden größtenteils in den USA sowie auch in Australien Zuflucht. Dort bereicherten die Geflohenen die Aufnahmegesellschaft mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten. Der aus dem Rheinland stammende Carl Schurz brachte es in den Vereinigten Staaten beispielsweise sogar bis zum Bundesminister.
 

Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers am 28. Juni 1914 in Sarajewo löst den ersten Weltkrieg der Geschichte aus und damit das „Jahrhundert der Flüchtlinge“. Europa wird für Jahrzehnte Schauplatz von Gewaltmigration durch Krieg, Bürgerkrieg und Flucht vor autoritären Regimen. Sogenannte “ethnische Säuberungen“ und Vertreibungen weiten sich zu einem europäischen Massenphänomen aus: Im Zeitalter des Nationalismus werden Millionen von Menschen wegen ihrer religiösen oder ethnischen Hintergründe oder ihrer politischen Gesinnung misshandelt, mit dem Tod bedroht oder erstmals in großem Stil von Staaten zwangsumgesiedelt.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht und deutsche Truppen Belgien überrennen, fliehen in den ersten Kriegsmonaten 1,4 Millionen belgische Zivilisten vor den Gefechten in die nahegelegenen Niederlande, nach Frankreich und Großbritannien. Der Krieg setzt unter anderem mit dem Einsatz von chemischen Waffen zuvor geltende ethische Grundsätze außer Kraft.

In den Friedensverhandlungen 1919/20 gelingt es nicht, die allerorts aufflammenden extremen nationalen Konflikte zu beenden. In den Vielvölkerstaaten des osmanischen Reichs und der Habsburger Doppelmonarchie kommt es nach dem Zusammenbruch der großen Kaiserreiche in den instabilen Nachfolgestaaten zu Konflikten. In Europa müssen rund zehn Millionen Menschen unfreiwillig Grenzen überschreiten, weil ihre angestammte Heimat nun zu einem Staat gehört, der sie als Minderheit nicht mehr duldet. Bis 1925 wandern in der Weimarer Republik 850.000 deutsche „Grenzlandvertriebene“ aus den polnischen Westgebieten und rund 150.000 Menschen aus Elsass-Lothringen ein, die in Zeiten der Weltwirtschaftskrise häufig angefeindet und ausgegrenzt werden.

Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 läutet das Zeitalter der sogenannten „ethnischen Säuberungen“ ein. Hunderttausende Armenier im Osmanischen Reich fallen Massakern zum Opfer, werden deportiert oder fliehen ins Ausland.

Unter Vermittlung des Völkerbundes kommt es nach dem Griechisch-Türkischen Krieg 1923 zudem zu einer Zwangsumsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen aus konfessionell-nationalistischen Motiven. Die Türkei und Griechenland einigen sich in einer in Lausanne unterzeichneten Konvention darauf, rund 400.000 muslimische Türken aus Griechenland zwangsweise umzusiedeln sowie rund 1,4 Millionen griechisch-orthodoxe Christen aus der neu entstandenen Türkei, wo diese seit Jahrhunderten mit ihren Familien friedlich leben.

1917 löst der Terror der Bolschewisten während der Oktoberrevolution in Russland eine Fluchtbewegung alter Eliten aus. Für kurze Zeit avanciert Berlin zur russischen Enklave mit Varietés, Theatern, russischsprachigen Zeitungen und Arztpraxen. „Im Westen Berlins liegt Russland“, beschreibt der Galerist Herwarth Walden 1923 das Leben um den Kurfürstendamm. Einer der mehr als 350.000 russischen Emigranten im Berlin der 1920er Jahre ist der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov, der – wie die meisten Russen – später in die USA auswandert. Insgesamt vertreiben die Bolschewisten mit dem „Roten Terror“ der Geheimpolizei laut Schätzungen letztlich 600.000 bis 800.000 Menschen. 1921 entziehen die Sowjets den Geflohenen die Staatsbürgerschaft. Besonders schwierig entwickelt sich die Situation für Juden aus Ost- und Südosteuropa, die vor Pogromen nach Westeuropa emigrieren und dort auf eine zunehmend antisemitisch aufgeheizte Stimmung stoßen. Dennoch suchen 70.000 Juden bis 1921 in der Weimarer Republik Asyl.

Um Millionen von Flüchtlingen nicht ohne völkerrechtlichen Schutz zu lassen, gründet die Staatengemeinschaft 1920 den Völkerbund. Als Erster Hochkommissar für Flüchtlinge bemüht sich der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen darum, die Staatenlosen mit Identitätspapieren auszustatten, dem sogenannten Nansen-Pass, und kümmert sich um die Ansiedlung von Flüchtlingen in anderen Staaten.

Der Nansen-Pass: mit Hilfe des provisorischen Ausweisdokumentes erhielten Staatenlose ein Stück ihrer Menschenwürde zurück. (Dokument: Wikimedia)

Im Rahmen des Minderheitenschutzes wird der Völkerbund zu einer wichtigen Stimme der Humanität. Letztendlich bleibt er jedoch angesichts der aggressiven Aufrüstungs- und Expansionspolitik der Nationalsozialisten machtlos.

Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Extreme: Der Aufschwung der Faschisten unter dem Diktator Benito Mussolini in Italien und der mit äußerster Brutalität geführte Bürgerkrieg in Spanien ab 1936 setzen weitere Fluchtbewegungen in Gang. Flüchtling sein heißt gesellschaftlich isoliert, geduldet in der Fremde sowie mit der Familie in Armut und Hunger zu leben.


Der Zweite Weltkrieg: nationalsozialistischer, rasseideologischer Vernichtungskrieg

Die Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 setzt eine ungeahnte Kette von Gewaltmigration in Gang. Politische Gegner wie Sozialdemokraten und Kommunisten, vor allem aber Juden werden auf Grund der NS-Weltanschauung systematisch geächtet, verfolgt und schließlich ermordet, was zu schubweisen Fluchtbewegungen führt. Bis 1939 verlassen rund 300.000 Juden Deutschland, die vor allem in die USA, Argentinien und Großbritannien auswandern. Viele Staaten weigern sich, den vom Tod bedrohten Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Insgesamt werden rund sechs Millionen Juden ermordet – viele in Konzentrations- und Vernichtungslagern.

In der Sowjetunion regiert der Diktator Josef Stalin seit den zwanziger Jahren unangefochten durch Terror und der Vernichtung seiner Gegner. Die Deportation verdächtiger ethischer Minderheiten gehört zu Stalins Säuberungsplänen: Seit 1936 siedelt der Diktator Polen, Koreaner, Tataren, Griechen, Georgier und andere Minderheiten zwangsweise nach Sibirien oder Kasachstan um. In Viehwaggons eingepfercht deportiert Stalin etwa rund 400.000 Wolgadeutsche nach Kasachstan – viele sterben auf dem Weg, andere halten Hunger, Kälte und die harten Lebensbedingungen nicht aus.

Die vergrößerte Zeichnung des Russlanddeutschen Malers Günter Hummel ist den rund fünf Millionen Opfern gewidmet, die in der Zeit des Großen Terrors 1936 bis 1938 in den Arbeitslagern, den Gulags, ihr Leben verloren. (Zeichnung: Das Russlands-Deutsche-Haus)

Januar 1945. Temperaturen um die 25 Grad minus. Aus Ostpreußen fliehen gewaltige Flüchtlingstrecks gen Westen aus Angst vor der russischen Roten Armee. Entkräftet versuchen junge Mütter mit Kleinkindern und alte Menschen mit unhandlichen Koffern und kaum geschützt gegen die klirrende Kälte auf Pferdewagen zu flüchten. Säuglinge erfrieren in den Armen ihrer Mütter. Alte sterben im Straßengraben. Ende des Monats kreist die sowjetische Armee die Flüchtlinge ein, die damit vom Rest des Deutschen Reichs abgeschnitten sind. Nach dem Hitlerschen Vernichtungskrieg im Osten sinnt die Rote Armee auf Rache: Rund 1,4 Millionen Frauen werden vergewaltigt, Männer und Jugendliche ermordet, misshandelt oder nach Russland verschleppt. Rund zwei bis drei Millionen Flüchtlingen gelingt es über das zugefrorene Frische Haff nach Danzig zu kommen, um sich auf den überfüllten Transportschiffen einen Platz nach Lübeck, Kiel oder Dänemark zu sichern. Dramen spielen sich ab. Zahlreiche Menschen sterben in den Fluten der Ostsee. Parallel werden rund 14 Millionen Deutsche seit dem Winter 1944 systematisch aus den ehemals besetzten Gebieten vertrieben, wobei sich jahrelange Ressentiments der unterdrückten Völker in Hass und Gewalt entladen.

Am 8. Mai 1945 endet der 2. Weltkrieg mit der vollständigen Kapitulation Deutschlands, der über 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Zurück bleibt eine Welt im Chaos mit traumatisierten und entwurzelten Menschen.

Nach dem Krieg suchen rund zwölf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene aus den nunmehr zur Sowjetunion und Polen gehörenden Landstrichen sowie ehemalige Zwangsarbeiter und ausländische KZ-Insassen – sogenannte Displaced Persons – eine neue Heimat. (Foto: Deutsches Bundesarchiv)

Auch in Rheinland-Pfalz finden zahlreiche Vertriebene, wie etwa die aus Schlesien stammende Monika Fettermann und ihre Familie, eine neue Heimat.

Foto: Privat
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Die Zahl der Geflüchteten stellt die junge Bundesrepublik vor eine zunächst kaum lösbare Aufgabe. All jene überlebenden Zwangsarbeiter, die während des Krieges zur Arbeit in deutschen Betrieben verpflichtet worden waren, Kriegsgefangene, ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge und Osteuropäer, die nach Kriegsbeginn entweder freiwillig in Deutschland eine Arbeit aufgenommen hatten oder 1944 vor der sowjetischen Armee geflüchtet waren, unterstehen den Alliierten. Innerhalb kurzer Zeit gelingt es, die so genannten Displaced Persons (DPs) in ihre Heimat zurückzuführen, auch, wenn in der Sowjetunion den DPs als angebliche Kollaborateure Lagerhaft und andere Repressalien drohen. Den Geflüchteten aus den ehemals deutschen Ostgebieten begegnen im Westen Feindseligkeit und Ressentiments. Viele leiden unter Hunger, Armut und gesellschaftlicher Diskriminierung, dagegen hilft nur, von vorne anzufangen und in untergeordneten Positionen zu starten, was auf Grund des Wirtschaftswunders in den fünfziger Jahren häufig gelingt.


Krieg in Vietnam – die Flucht übers Meer

Während sich Deutschland auf seinen wirtschaftlichen Neuanfang konzentriert, toben in Vietnam weiterhin die Kriegswirren. Nach mehreren Auseinandersetzungen zwischen den Vietnamesischen Streitkräften und französischen Truppen sowie deren Angriff auf die Stadt Hai Phong bricht im November 1946 der erste Indochina-Krieg aus, der 1954 mit der Teilung in Nord- und Südvietnam endet.

Doch militärische Auseinandersetzungen und unbeugsame Ideologien zwischen dem Norden und dem Süden lassen das gebeutelte Land weiterhin nicht zur Ruhe kommen und münden unter Beteiligung der USA in den so genannten zweiten Indochina Krieg, der als die verheerendste Auseinandersetzung in die Geschichte Vietnams eingeht. Nach Schätzungen fordern die Gefechte auf Seiten der USA und Vietnams insgesamt drei Millionen Tote, davon ca. zwei Millionen Zivilisten und rund drei Millionen Verwundete.

Am 2. Juli 1976 schließen sich Nord- und Südvietnam zur „Sozialistischen Republik Vietnam“ zusammen. Die Vereinigung der gegensätzlichen Regime führt zu einem neuen, innervietnamesischen Konflikt. Hungersnot, Wirtschaftskrise und Verfolgung durch das Regime veranlasst hunderttausende Verzweifelte zur Flucht über das Chinesische Meer. Mehr als 1,5 Millionen Menschen versuchen in überfüllten Booten nach Malaysia, Indonesien, Singapur oder Hongkong zu gelangen.

Wie tausenden Anderen gelingt auch dem damals 13-jährigen Tri Tin Vuong, der heute im pfälzischen Landau lebt, die Flucht aus seiner südvietnamesischen Heimat. Über seine dramatische Flucht und das Willkommen in Deutschland berichtet er in seiner Geschichte „Flucht über den Ozean des Ostens“. (Foto: Privat)

Längst sind jene sogenannten "Boat People" zum Synonym für alle Flüchtendengeworden, die auch heute auf dem Seeweg Krieg, Verfolgung und Folter in ihren Heimatländern zu entrinnen versuchen.

 

Die Jugoslawienkriege – erste große Fluchtbewegung ins wiedervereinigte Deutschland

Acht Jahre lang tobte auf dem Balkan der sogenannte Jugoslawienkrieg. In Folge einer Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina verlieren zwischen 1991 und 1999 mehr als 100.000 Menschen ihr Leben. Nach Schätzung des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge treten 2,3 Millionen Menschen die Flucht an. Darunter viele Frauen, Alte und Kinder.

Der Balkankonflikt umfasste den 10-Tage-Krieg in Slowenien (1991), den Kroatienkrieg (1991–1995), den Bosnienkrieg (1992–1995), den kroatisch-bosniakischen Krieg im Rahmen des Bosnienkriegs, den Kosovokrieg (1999) und letztlich den albanischen Aufstand in Mazedonien (2001).

Während die katholischen Kroaten und die muslimischen Bosniaken aus Angst vor serbischen Racheakten ihre Heimat verlassen, fürchten Serben in den seit 1992 unabhängigen Republiken Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien um ihr Leben. Mehr als 700.000 Menschen suchen im Ausland Schutz vor der Bombardierung und Belagerung ihrer Städte, vor Massakern, Massenvertreibungen, Vergewaltigungen und ethnischen Säuberungen, die Paramilitärs und Truppenverbände verüben. Das schlimmste Massaker findet auf Geheiß der bosnischen Serbenführer Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic in Srebrenica statt, bei dem im Juli 1995 über 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordet werden.

Ein von serbischen Milizen zerstörtes Haus in der Nähe von Brčko, in dem Menschen muslimischen Glaubens lebten.

Doch ethnische wie nationale Spannungen zwischen den Teilrepubliken sind nicht die alleinige Ursache für den Zerfall der sozialistischen Republik Jugoslawien. Vielmehr beginnt die Erosion des Staates nach dem Tod des Staatsgründers Josip Broz Tito 1980 und beschleunigt sich mit dem Auseinanderbrechen des Warschauer Pakts nach 1989. Jugoslawien schlittert in eine schwere Wirtschafts- wie Verfassungskrise, die die Unabhängigkeitstendenzen der Teilrepubliken fördert. Insbesondere die wohlhabenden Teilrepubliken Kroatien und Slowenien wollen sich von dem reformunwilligen Jugoslawien lossagen. Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit verunsichern die Menschen und lassen sie für die Hassparolen nationalistischer Politiker wie Milosevic oder dem Kroaten Franjo Tudjman empfänglich werden, die gezielt auf Propaganda setzen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Die ethnischen Säuberungen und Massenvertreibungen in Folge des Balkankriegs führen zum Eingreifen der NATO und der internationalen Friedenstruppen.

In der Zeit zwischen 1991 und 1995 nimmt Deutschland die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens auf. 350.000 Menschen finden einen Zufluchtsort in der Bundesrepublik.

1992 wird in Deutschland der Begriff „ethnische Säuberung“ zum „Unwort des Jahres“ erklärt.

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