Die Idee
Die Geschichte der sogenannten „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“, die seit dem ersten Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien ab 1956 in unser Land kamen, ist fast in Vergessenheit geraten. Dabei waren sie es, die maßgeblich dazu beitrugen, das Rad des Wirtschaftswunders der 1950er und 60er Jahre durch ihre Arbeitskraft in Schwung zu bringen. Ihr Aufenthalt war zunächst für eineinhalb Jahre angedacht, die Realität zeigte jedoch eine andere Entwicklung.
Viele der einstigen Arbeiterinnen und Arbeiter auf Zeit holten im Laufe der Jahre ihre Familien nach Deutschland und fanden hier ihre neue Heimat. Heute gehört bereits die dritte Generation der einst aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei oder Marokko Gekommenen zu unserer Gesellschaft. Was waren es für Menschen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verließen, ihre Familien zurückließen und vielfach ohne Sprachkenntnisse das Wagnis der Arbeitsmigration in einem fremden Land auf sich nahmen?
Das wollte 2016 das Stadthistorische Museum Mainz in einem ganz besonderen Ausstellungsprojekt erforschen. Ein Team junger Menschen sollte gemeinsam mit den Initiatorinnen und Initiatoren der geplanten Ausstellung auf Spurensuche nach einstigen Mainzer Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern gehen. Da viele Enkelinnen und Enkel jener Zugewanderten heute auch in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt zur Schule gehen, lag es nahe, eine Mainzer Bildungsstätte in die Umsetzung des Projekts mit einzubeziehen.
Das Gymnasium am Kurfürstlichen Schloss Mainz und das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. stiegen als Kooperationspartner in das Projekt ein. Unter der Leitung der Geschichtslehrerin Anne-Kathrin Zehendner-Schicker und ihrem Kollegen Andreas Hawner entstand eine Oberstufen-Arbeitsgruppe, die diese Epoche rheinland-pfälzischer Migrationsgeschichte in Form der multimedialen Wanderausstellung „Mainzer `Gastarbeiter` der ersten Generation“ konzipierte und umsetzte.
»Die Besonderheit unserer Schule erschließt sich dem Besucher erst auf den zweiten Blick beim Kennenlernen unserer Schüler: Bunt gemischt, aus aller Herren Länder, viele mit mehr als einer Kultur, die sie durch ihr Leben begleitet.«
— Projektleiterin Anne-Kathrin Zehendner-Schicker (1)
Mit Spannung sahen die 13 geschichtsbegeisterten Jugendlichen der Entwicklung der Wanderausstellung entgegen. Aus welchen Modulen könnte eine Ausstellung dieser Art bestehen? Wie sollten sie in Kontakt mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kommen? Wie geht man überhaupt Biografiearbeit an, die auch den Menschen und ihrer Geschichte gegenüber viel Einfühlungsvermögen erfordert?
In Zusammenarbeit mit ihren Lehrkräften sowie Dr. Ute Engelen vom Institut für geschichtliche Landeskunde und der Diplom-Sozialpädagogin Nurhayat Canpolat vom Caritasverband Mainz sollte ein zweiteiliges Ausstellungskonzept aus Roll-Ups und Video-Zeitzeugenporträts entstehen. Bald waren die Teilnehmenden gefunden, die gerne über ihren bewegenden Lebensweg nach Mainz und ihre heutige Heimat vor der Kamera berichteten.
„Motiviert durch die Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, die teilweise selbst als „Gastarbeiter“ hierherkamen und durch die täglichen Begegnungen mit anderen Kulturen, erhofften wir uns, durch die Gespräche mit Menschen dieser Generation einen lebendigen Einblick in die Beweggründe zu erhalten, warum sie nach Deutschland kamen und wie sie ihr Leben hier führten“, so das Schülerteam. „Im Laufe des Projektes entwickelten wir ein ausgeprägtes Verständnis für die unterschiedlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die diese Menschen meistern mussten. Sie berichteten uns offen und ehrlich und nahmen uns mit in ihre Vergangenheit.“(2)
Quellenabgaben
(1) Zitat: Begleitband zur Ausstellung „Mainzer Gastarbeiter der ersten Generation“, Hrsg. Hedwig Brüchert, Ute Engelen, Stadthistorisches Museum Mainz e.V., S. 19
(2) ebd., S. 20