Die Schattenseiten der Migration – ¿Viva Espana?
Bereits 1971 schrieb die Zeitschrift »der Spiegel« über die negativen Auswirkungen der spanischen Migration nach Deutschland: »Wirtschaftliche Verödung ganzer Landstriche, zerrüttete Familien und nur scheinbarer Wohlstand seien das Ergebnis. Im spanischen Lodoselo, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt der galicischen Provinz Orense entfernt, leben 110 Familien. Doch sie leben dort nur zum Teil. Denn von 100 der 110 Lodoselo-Familien wohnt und arbeitet mindestens ein Mitglied im Ausland, in der Bundesrepublik. Männer und Frauen unter 45 gibt es nicht mehr, Lodoselo ist ein Dorf von Omas und Enkeln.« [Spiegel]
Die Folgen der Migration für Lodoselo und andere spanische Orte waren dramatisch. Sie spiegelten sich in verwaisten Häusern und zerrissenen Familien wieder: Väter und Mütter schlossen sich dem endlosen Strom von Arbeitern in den Norden an. Ihre zurückgelassenen Kinder wuchsen in der Obhut der Großeltern auf und. mussten sich mit regelmäßigen Briefen aus der Ferne begnügen, deren Absender ihnen beim einmaligen Jahresurlaub immer fremder vorkamen.
Neben der Sozialstruktur veränderte sich auch das Wirtschaftsgefüge der Provinzen: Anbauflächen lagen brach, die traditionellen Erwerbsquellen blieben ungenutzt. Wer vorher als reicher Landbesitzer galt, dem fehlten nun Arbeitskräfte, um es zu bestellen.
Die Milliarden-Beträge, die spanische Auswanderer jährlich in die Heimat überwiesen, sollten alle entstandenen Mühen und Entbehrungen ausgleichen. Doch die hart erarbeiteten Devisen führten nicht zu einem dauerhaften Aufschwung in der Provinz. Sie verpufften in trügerischen Zeichen des Wohlstands. Die Ersparnisse dienten zum Kauf eines Autos oder eines eigenen Hauses. Nur selten flossen die Gelder in produktive, industrielle Bereiche. Die eigentlichen Ursachen der Auswanderung blieben bestehen. Die scheinbare wirtschaftliche Blüte verwelkte bald.
Vom angestrebten Wohlstand zeugen heute noch prachtvolle Häuser im ländlichen Hinterland. Doch ihr Glanz trügt. Die Kinder und Enkel, für die sie eigentlich gedacht waren, leben heute in Deutschland oder in spanischen Großstädten, wo sich Arbeit findet. Spaniens Provinzen sind das, was sie immer schon waren: Auswanderland.
Für die spanische Regierung war die Überweisung ihrer Migranten dagegen ein Segen. Die Divisen der Auswanderer sicherten einen ausgeglichenen Haushalt. Ohne sie hätte sich die spanische Wirtschaft nicht entwickeln können [1].
Quellenangaben
- Thomas Straubhaar: Arbeitskräftewanderung und Zahlungsbilanz, Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Rücküberweisungen nach Griechenland, Portugal, Spanien und der Türkei, Stuttgart 1983.