Das deutsch-portugiesische Anwerbeabkommen

… im Zeitraum 1964 – 1973

Der Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens 1964 und dem ausgerufenen Anwerbestopp 1973 war die bedeutendste Phase der portugiesischen Einwanderungsgeschichte nach Deutschland.

Innerhalb dieser neun Jahre wanderten 169.000 Portugiesen in die Bundesrepublik ein. 53.000 Personen davon kehrten bis 1973 wieder in ihre Heimat zurück, weshalb sich am Ende des Jahres noch 116.000 portugiesische Migranten in Deutschland befanden [1].
 
In den ersten Jahren bis 1967 blieb die Anzahl der nach Deutschland emigrierten Portugiesen relativ gering. Im Vergleich zu der folgenden Migrationsphase von 1968 bis 1973 reisten lediglich 32.000 Portugiesen in die Bundesrepublik ein [2]. Die geringen Anwerbezahlen sind insbesondere darauf zurückzuführen, dass die portugiesische Auswanderungsbehörde, die Secretariado Nacional da Emigracao, die Ausreise der Arbeitswilligen erschwerte [3].

In den Jahren 1968 bis 1973 veränderten sich die portugiesischen Ausreisebedingungen und mit ihnen die Ausreisezahlen. Ein Führungswechsel an der Spitze des Staates trug dazu bei: Marcelo Caetano trat die Nachfolge Salazars an, der aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nicht mehr ausüben konnte. Caetano verfolgte liberalere Ansätze, indem er den »Estado Novo« durch einen »Estado Social« zu reformieren versuchte [4].

Ausländische Mitbürger mit Portugiesischer Staatsangehörigkeit nach Geschlecht in Rheinland-Pfalz von 1974 bis 2013

 
JahrmännlichweiblichGesamtsumme
19743.2462.2155.461
19752.9102.2435.153
19762.6412.1854.826
19772.5522.1214.673
19782.5132.1344.647
19792.5032.1614.664
19802.5152.1874.702
19812.4952.1484.643
19822.4202.0824.502
19832.2911.9604.251
19842.0161.7353.751
19851.8001.5703.370
19861.8291.6203.449
19902.0201.8513.871
19912.4782.0334.511
19922.7262.1944.920
19933.0382.3785.416
19943.3722.5135.885
19953.8352.6596.494
19964.2242.8307.054
19974.2792.9497.228
19984.2213.0137.234
19994.1743.1177.291
20004.1663.1057.271
20014.0603.1417.201
20024.0713.1457.216
20034.0113.1827.193
20043.8043.1346.938
20053.7703.1466.916
20063.8133.1626.975
20073.8193.1776.996
20083.7923.1976.989
20093.8623.1607.022
20103.8583.1537.011
20113.8963.1817.077
20124.0833.3167.399
20134.2733.4667.739

(Quelle: Ausländerzentralregister)

In den Migrationsfragen machte sich dies durch eine vergleichsweise weniger restriktive Ausreisepolitik bemerkbar. Daraufhin stiegen die Emigrationszahlen an: Zwischen 1968 (6.709) und 1973 (28.230) vervierfachten sich die Ausreisezahlen der portugiesischen Migranten [5]. Nun wurde selbst die Vermittlung größerer Arbeiterkontingente, die im Rahmen des Rotationsprinzips die Deutsche Wirtschaft unterstützen sollten, nicht mehr behindert [6].

Ansicht einer offiziellen Bescheinigung
Da sich die Aufenthaltszeiten der angeworbenen Beschäftigten zusehends verlängerten, setzte nach einigen Jahren der Nachzug von Familienangehörigen ein.
Famile von Hilario Santos auf dem Sofa
So holte auch Hilario Santos seine Familie nach Deutschland, für die seit vielen Jahren die Landeshauptstadt Mainz Heimat ist.

… im Zeitraum 1974 – 1985

Der Anwerbestopp von 1973 bremste die portugiesische Einwanderung nach Deutschland schlagartig. Die von nun an geltenden Zulassungsbeschränkungen leiteten die nächste Phase der portugiesischen Migrationsbewegung ein. Diese war zunächst geprägt von einer wachsenden Anzahl von Familienmitgliedern. Langfristig aber sank die Zahl der Portugiesen in der Bundesrepublik von 122.000 (1974) kontinuierlich auf 77.000 (1985). Auffällig ist, dass der große Teil der Rückkehrer sich erst in den 1980er Jahren dazu entschied, den Aufenthalt im Ausland zu beenden. Zurückzuführen ist dies auf die politisch instabile Lage innerhalb Portugals nach dem Sturz der Diktatur in der so genannten Nelkenrevolution vom 25. April 1974.

Zu diesen Unsicherheitsfaktoren kam die Furcht, den in Deutschland erarbeiteten Lebensstandard nicht halten zu können. Eine Rückkehr nach Portugal war für viele gleichbedeutend mit einer Rückkehr in Arbeitsverhältnisse, die ihrer Migrationsmotivation einer Statusverbesserung widersprachen [7]. Ein schnelleres Anwachsen der Rückkehrbereitschaft erfolgte erst in den 1980er Jahren, als sich die Verhältnisse im Heimatland stabilisierten [8].
 

… im Zeitraum 1986 – 2010

Nach dem Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft 1986 kam es zu einer Renaissance der portugiesischen Migration nach Westeuropa, vor allem nachdem 1992 den Arbeitnehmern die volle Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt der Europäischen Gemeinschaft (EG) gewährt wurde. Danach wuchs die portugiesische Bevölkerung in Deutschland von 77.000 (1985) auf 115.000 Menschen (2006) an [9].

Das Anwachsen der portugiesischen Migrantengruppe in der Bundesrepublik und weiteren europäischen Ländern ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich seit Mitte der 1980er Jahre »neben den traditionellen Auswanderungsmustern neue Formen der Mobilität koexistieren.« [10] Ein Beispiel dafür findet sich in der massiven Beschäftigung von portugiesischen Bauarbeitern in den 1990er Jahren während des sogenannten »Aufbau Osts«. Der Bedarf an Arbeitskräften für die dort neu zu schaffenden Infrastrukturmaßnahmen führte zu einer verstärkten Aktivität von privaten Arbeitsvermittlern, die portugiesische Hilfskräfte deutschen Bauunternehmern zur Verfügung stellten. Auf diese Weise arbeiteten rund 22.000 Portugiesen legal auf deutschen Baustellen, illegal wahrscheinlich weitaus mehr [11].
 
Zur selben Zeit wandelte sich Portugal vom klassischen Aus- zum Einwanderland. Schon Mitte der 1970er Jahre waren 500.000 Portugiesen aus den afrikanischen Gebieten im Zuge der Dekolonialisierung ins Heimatland geflohen. Mit ihnen stieg die Zahl der sogenannten »Refugiados«, vorwiegend schwarze Flüchtlinge aus den PALOP-Staaten (Staaten mit Portugiesisch als Amtssprache – ehemalige portugiesische Kolonien) bis 2006 auf fast 130.000 Personen an [12]. Der Anteil der in Portugal lebenden Ausländer wurde zusätzlich durch die Zuwanderung von fast 100.000 Osteuropäern verstärkt, die zwischen 2000 und 2002 in das Land einwanderten [13]. 
 

… im Zeitraum 2010 bis heute

Die aktuelle ökonomische Krisensituation in der Europäischen Union lässt die Zahl der portugiesischen Auswanderer wieder ansteigen. Horrende Staatsschulden, Bankenkrise und Wirtschaftsflaute haben auch auf der iberischen Halbinsel zu hoher Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven geführt. Die Hoffnung liegt für viele deshalb im Ausland, sei es in Übersee, in Afrika oder in Europa. Auch Deutschland wird als Migrationsland wieder attraktiv, was sich in einem Zuwanderungsplus von 42,4 Prozent 2012 gegenüber 2011 widerspiegelt [14]. Anders als früher wandern nun keine »Gastarbeiter« herkömmlicher Definition aus, sondern in besonderem Maße Akademiker. Grund dafür sind die kaum vorhanden beruflichen Chancen in der Heimat. Allein über 50.000 Portugiesen mit Universitätsdiplom galten 2011 ohne Anstellung [15]. Aussagen einzelner Politiker, in Deutschland gezielt portugiesische Arbeiter anwerben zu wollen, führen zu einer wahren Flut an Bewerbungen [16]. Sie zeigen, wie groß die Migrationsbereitschaft ist. Sie weisen gleichzeitig jedoch auch darauf hin, wie hoch der Leidensdruck sein muss. Der aktuelle portugiesische Staatspräsident, Aníbal Cavaco Silva, fasst die Situation zusammen [17]:


»Es wäre mir lieber, wenn die jungen Leute bleiben würden, aber es kann ihnen niemand vorwerfen, dass Sie nach einem besseren Leben suchen. Sie werden im Ausland das Niveau portugiesischer Arbeit aufzeigen. Und es liegt in der Tradition der Portugiesen wegzugehen, aber sie kehren auch immer wieder zurück.«

— Portugiesischer Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva


Das bedeutet, das neue Kapitel in der portugiesischen Einwanderungsgeschichte nach Deutschland hat seine eigenen Ursachen und Besonderheiten. Die neue Generation von Zuwanderern ist besser ausgebildet und mobiler als früher. Inwieweit die Bundesrepublik langfristig davon profitieren kann hängt von den Fähigkeiten unserer Gesellschaft ab, Migranten aufzunehmen und ihnen eine wirkliche Heimat zu bieten.

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  1. Embaixada de Portugal em Berlim, Departamento Social (Hg.), Análise estatística, Comunidade
    Portuguesa na Alemanha 2001, Berlin 2002, S. 3. Andere Quellen geben andere Zahlenwerte an. Dort werden für den Zeitraum 1964 bis 1974 164.800 Migranten, bei 51.000 Rückwanderern angegeben. Siehe: www.angekommen.com/iberer/Lexikon/landber.htm, Stand 09.08.2014. 
  2. Bundesanstalt für Arbeit (Hg.), Ausländische Arbeitnehmer, Beschäftigung, Anwerbung, Vermittlung, Erfahrungsbericht 1972/73. Nürnberg 1974, S. 114.
  3. Vgl. dazu Bundesanstalt für Arbeit (Hg.), Ausländische Arbeitnehmer, Beschäftigung, Anwerbung, Vermittlung, Erfahrungsbericht 1971, Nürnberg 1972, S. 37.
  4. Manuel von Rahden, Portugiesische Zeitgeschichte, Von der Nelkenrevolution bis zum Jahr 1997, in: Dietrich Briesemeister und Axel Schönberger (Hg.), Frankfurt am Main 1997, S. 213-246.
  5. Bundesanstalt für Arbeit (Hg.): Ausländische Arbeitnehmer 1972/1973, S. 112.
  6. Ebd. S. 49.
  7. Cristina Moito Soares: Die portugiesische Auswanderung nach Deutschland und deren Wahrnehmung in Portugal, Diplomarbeit Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim, 2002/2003, in: www.diacronia.de/Die_portugiesische_Auswanderung_nach_Deutschland.pdf, Abruf: 09.08.2014.
  8. Borges: Portugiesische Arbeitswanderer in West-, Mittel- und Nordeuropa, S. 892.
  9. José Carlos Marques, Die portugiesische Emigration nach ‚Ende der portugiesischen Emigration‘, in: Teresa Pinheiro (Hg.), Portugiesische Migrationen, Geschichte, Repräsentation und Erinnerungskulturen, Wiesbaden 2010, S. 23-36, S. 26. 
  10. Ebd. S. 33
  11. Schätzungen gehen von bis zu 35.000 Portugiesen aus. Vgl. Ebd. S. 32f.
  12. Maria Ioannis Baganha u.a., Tendenzen der Einwanderung nach Portugal seit der Nelkenrevolution, in: Pinheiro: Portugiesische Migrationen, S. 57 – 70, S. 57.
  13. Ebd. S. 66.
  14. In Zahlenwerten entspricht einer Steigerung von 8.297 (2011) portugiesischen Einwanderern auf 11.820 (2012). Siehe: www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2014/Migrationsbericht_2012_de.pdf?__blob=publicationFile, Abruf: 09.08.2014.
  15. Financial Times Deutschland, 10.2.2011.
  16. Als die CDU/CSU Fraktion im Februar letzten Jahres laut darüber nachdachte, arbeitslose Fachkräfte aus Spanien und Portugal anzuwerben, löste die Nachricht einen Ansturm auf die Deutsche Botschaft in Lissabon aus. Ebd. Vgl. dazu die Situation in Schwäbisch Hall in: www.spiegel.de/karriere/ausland/portugiesen-in-schwaebisch-hall-auf-diese-stellen-koennen-sie-bauen-a-820912.html, Abruf: 09.08.2014. 
  17. Kölner Stadtanzeiger, 26.11.2013.