Erika Sulzer-Kleinemeier erzählt

Porträt Erika Sulzer-Kleinemeier

»Malochen für Deutschland«

— Erika Sulzer-Kleinemeier


Erika Sulzer-Kleinemeier hat in mehr als 40 Jahren Bildjournalismus die Meilensteine politischer und gesellschaftlicher Strömungen dokumentiert. Szenen der Friedensbewegung, der Studentenunruhen oder die Situation der Gastarbeiter in Frankfurt sind nur einige Themen, die die engagierte Friedensaktivistin in den führenden deutschen Printmedien wie Spiegel, Zeit, Stern oder Frankfurter Rundschau aber auch in internationalen Zeitschriften wie dem Telegraph Magazine publizierte.

Seit 1976 lebt die studierte Fotografin in Gleisweiler in der Pfalz. In ihrem historischen Anwesen beherbergen die hohen Regale ihres Archivs unzählige fotografische Zeitzeugen. Maßgebliche Vertreter aus Politik und Wirtschaft, die legendären 68er aber auch Menschen anderer Nationen, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, erfuhren durch den ihr eigenen Blickwinkel eine ganz besondere Unvergänglichkeit.

Gastarbeiter in »Schöner Wohnen«

Hautnah erlebte Erika Sulzer-Kleinemeier die Lebenssituation der Gastarbeiter mit, als sie 1967 mit ihrer Familie ins Frankfurter Westend zog. Wie in vielen anderen deutschen Großstädten herrschte zu dieser Zeit eine massiv betriebene innerstädtische Bauspekulation. Den bisherigen Wohnungsmietern der Gründerzeithäuser wurde zwangsgekündigt um die Wohnungen zimmerweise zu Wucherpreisen an Gastarbeiter Familien zu vermieten. Bevor sie den geplanten neuen Bank- und Bürohochhäusern weichen mussten, sollten die Objekte noch einmal soviel Gewinn wie möglich erbringen.

Häufig wohnten bis zu sechs Menschen in einem Zimmer. Manche Betten wurden für die Tages- und Nachtschicht doppelt vermietet. Nicht selten betrug die Miete für ein solches Bett 100 DM im Monat.
»Sie sollen arbeiten und nicht wohl leben«, lautete die Bildunterschrift zu diesem Artikel.

Dass sich in ihren Bildberichten objektive Berichterstattung und emotionale Anteilnahme nicht ausschließen, davon zeugen die Fotografien, die sie in einem Frankfurter Männerwohnheim aufnahm, das von illegal eingereisten Arbeitern bewohnt wurde. Heimlich schleusten Gastarbeiter die bekannte Pressefotografin an dem über alles wachenden Hausmeister vorbei. Die Situation, die sich ihr in den Räumen des Wohnheims bot, berührte Sulzer-Kleinemeier in ganz besonderem Maße:

Den illegalen Zuwanderern und den Menschen, die auf legalem Wege im Rahmen der Anwerbeabkommen mit Italien, Griechenland und Spanien einreisten, war eines gemein: Sie wollten in Deutschland Arbeit finden, um sich und ihren Familien, die in der Heimat zurückgeblieben waren, eine wirtschaftlich bessere Zukunft bieten zu können.

1972 initiierte Erika Sulzer-Kleinemeier eine breite, öffentlichkeitswirksame Ausstellung ihrer Bilddokumentationen, in der sie auf die Lebens- und Arbeitssituation der Gastarbeiter in Frankfurt aufmerksam machte. Die Idee zur Ausstellung entwickelte sie aus ihrer jahrelangen Arbeit an diesem Thema. Ausschlaggebend für die Umsetzung war ihre Beobachtung der Gastarbeiter beim Bau der Frankfurter U-Bahn. In einem Interview sagte sie einmal dazu:

»Wenn man als Fotograf oder Fotografin nicht neugierig ist – dann kriegen Sie kein Bild. Also hab ich gehört, da unten wird ein Tunnel gebaut, das wusste ja jeder, in Frankfurt. Da hat mich interessiert, wer arbeitet da eigentlich? Und da bin ich da runter gegangen, und dann waren’s lauter Ausländer.«(Burghard Schlicht für »hauptsache kultur« / hr 2008)

In einer groß angelegten Plakataktion unter dem Titel »Malochen für Deutschland« zeigte sie auf allen innerstädtischen Litfasssäulen je ein Großfoto mit Alltagssituationen der Gastarbeiter. Die 40 verschiedenen Motive der Ausstellung hingen außerdem hinter den Glasscheiben des gerade neu errichteten städtischen Pavillons in der B-Ebene der U-Bahnstation Hauptwache, das sich als ideales Diskussionsforum für die Bevölkerung erwies. Die Plakataktion wurde zudem begleitet mit Podiumsdiskussionen zum Thema: »Ursachen der türkischen Emigration«, »Ausländische Arbeiter und Gewerkschaft«, »Die Schulsituation der ausländischen Kinder« und »Ausländerrecht«. Dort wurde schon 1972 über das kommunale Wahlrecht der Gastarbeiter diskutiert. Die Veranstalter waren: Volkshochschule Frankfurt-Hoechst, Türkischer Kulturverein-Frankfurt, Deutsche Jungdemokraten, Humanistische Union, IGB-Metall und Diakonisches Werk. An der Planung dieser umfassenden Aktion war Grimme-Preisträger Ernst Klee maßgeblich beteiligt.

Bildmaterial aus dieser Zeit:

Gastarbeiter »malochen« beim Tunnelbau der Frankfurter U-Bahn.
Wohnsituation der Gastarbeiter.

In ihren Bildern vermittelt Erika Sulzer-Kleinemeier Einblicke in ein differenziertes Bild der Arbeits- und Lebenssituationen der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter im Frankfurt der späten 1960er bis 1970er Jahre. Ein Teil jener Bilder finden sich in ihrem Buch »Fotografien 1967 bis 2007« wieder.

»Ihre Fotos erheben keinen Anspruch, die Realität der GastarbeiterInnen zu zeigen« schreibt Barbara Steiner, Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, in ihrem Vorwort zum Buch. »Unser Wahrnehmungsfokus wird über die Art der fotografischen Aufnahme auf Details gelenkt […]. So ist die Unterkunft zwar klein und überbelegt, und doch mag die Sorgfalt, mit der man sich auch im Allerwenigsten einrichtet, erstaunen. […] Die Lebensumstände mögen für Außenstehende erdrückend sein, und doch steckt die Fröhlichkeit des Feierns an.«

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