Blick in die Geschichte

Die Geschichte Deutscher Siedler in Russland geht bis in das 10. Jahrhundert zurück. Erste Siedlungen entstanden, Land wurde nutzbar gemacht und Städte, wie z.B. Riga, gegründet, in der sich deutscher Adel nieder ließ. Handelsbeziehungen bildeten sich im Laufe der Jahrhunderte und Städte auf russischer Seite wie auch auf Seiten der deutschen Hanse entwickelten sich ab dem 16. Jahrhundert zu wichtigen Handelspunkten[1].

Die lange und bewegte Geschichte der zahlreichen deutschen Migranten nach Russland begann in den 1670er Jahren mit der Auswanderung der ersten Pfälzer, die an der Wolga und am Schwarzen Meer ihr Glück suchten. Schwaben und Hessen folgten im Laufe der Jahrzehnte um im fernen Osten den heimischen Kriegen, Besatzungen, Missernten und Steuererhöhungen zu entfliehen.

Gemälde der russischen Kaiserin
Die russische Kaiserin Katharina II. wurde 1729 als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren. Sie zählte zu den einflussreichsten und mächtigsten Frauen der Geschichte und formte Russland zur europäischen Großmacht.

Die große Auswanderungswelle jedoch setzte erst in der Regierungszeit der russischen Kaiserin Katharina II. (1729 - 1796) ein. Mit ihr begann die zweite Epoche der »Europäisierung Russlands«. Zuvor versuchte bereits Peter der Große (1672 - 1725) durch seinen direkten Kontakt zu Mittel- und Westeuropa handwerkliches Können, wissenschaftliche Erkenntnisse und sogar den Weinbau nach Russland zu bringen. Dafür empfand man das Gebiet um Astrachan für den Anbau der Reben geeignet. In Mainz wurden sich russische Beauftragte im März 1711 mit fünf deutschen Weinbauern einig, die bereit waren nach Astrachan – eine Stadt im Mündungsgebiet der Wolga am Schwarzen Meer – zu kommen[2].

Für Katharina die Große hingegen ging es darum, die riesigen Gebiete vor allem im Süden an der Wolga und am Schwarzen Meer, die sie durch ihre Eroberungen dazugewonnen hatte, zu besiedeln und wirtschaftlich als auch staatlich-politisch zu integrieren. Zur Bestellung der Ländereien suchte die Kaiserin vor allem freie, deutsche Bauern, da sie sich von ihnen eine effektivere Landwirtschaft erwartete als von den  traditionell eingesetzten Leibeigenen. In ihrem Denken und Handeln spiegelte sich der Grundgedanke der Aufklärung (ca. 1730-1800) wider, der gesamteuropäischen Geistesbewegung, die Liberalismus und das Konzept der Menschen- und Bürgerrechte in den Mittelpunkt stellte.

Historisches Dokument mit gebrochener Schrift

In einem ersten Manifest vom 4. Dezember 1762 rief die Kaiserin ihre ehemaligen Landsleute zur Einwanderung nach Russland auf, um die wirtschaftliche Entwicklung und Kultivierung ihres Reiches voranzutreiben. Der Erfolg jedoch blieb aus, denn der Siebenjährige Krieg forderte zu jener Zeit seinen Tribut. Rund eineinhalb Jahre später, am 22. Juni 1763, gab die Kaiserin in ihrem zweiten Manifest überzeugende Anreize für die Einwanderer aus ihrer ehemaligen Heimat: Befreiung vom Militärdienst, Selbstverwaltung, Steuervergünstigungen auf zehn bis 30 Jahre auf dem Land und auf zehn Jahre in den Städten, finanzielle Starthilfe sowie 30 Hektar Land pro Kolonistenfamilie. Die Befreiung vom Militärdienst »auf ewige Zeit« wie auch die Sprachfreiheit speziell für die deutschen Einwanderer war vielversprechend. Vor allem aber: »freie Religions-Übung nach ihren Kirchen-Satzungen und Gebräuchen«, wie es in dem abgebildeten Manifest heißt.

Erst das zweite Manifest brachte den erwünschten Zuwanderungserfolg.In den Jahren 1764 bis 1767 wanderten rund 30.000 Deutsche – inklusive einer kleineren Anzahl von Franzosen, Niederländern und Schweden – nach Russland aus[3].  In diesen Jahren erfolgte mit der Gründung von 104 deutschen Kolonien eine wahre Massenansiedlung im Wolgagebiet, nahe der Stadt Saratow[4].  1897 lebten rund 1,7 Millionen Deutsche im Russischen Reich, beinahe 20 Jahre lang existierte sogar eine »Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen«[5].

In mehr als 250 Jahren durchlebten die »Nemzy«, die Stummen, wie man im früheren Russland Ausländer ohne Sprachkenntnisse nannte, eine wechselvolle Geschichte: Wirtschaftliche Erfolge, gelungene Integration, Beginn der antideutschen Stimmung Ende des 19. Jahrhunderts, »Angleichungsgesetz« 1871, das den Sonderstatus der Kolonisten allmählich aufhob, Hungerkatastrophen, Stalinistische Diktatur, Deportation, Vernichtung und Zwangsarbeit als Folge des Zweiten Weltkriegs. So war es die logische Folge, dass viele das Land des Schreckens verlassen und nach Deutschland, dem Heimatland ihrer Vorfahren, zurückkehren wollten.

1950 war es 70.000 Deutschen aus Russland (von insgesamt 12,2 Millionen deutschen Vertriebenen) gelungen, einen dauerhaften Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen; 5.000 Deutsche aus Russland (von insgesamt 4,1 Millionen deutschen Vertriebenen) lebten seinerzeit in der DDR[6].

Frontansicht Grenzdurchgangslager Gemeinde Friedland
Das Grenzdurchgangslager in der niedersächsischen Gemeinde Friedland diente u.a. als Aufnahmelager für Spätaussiedler. Seit seiner Gründung 1945 war es für mehr als vier Millionen Menschen die erste Anlaufstelle in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb wird es als »Tor zur Freiheit« bezeichnet[8].

Seit dem Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau 1955 setzte sich die deutsche Regierung für die Familienzusammenführung der in der Sowjetunion lebenden Deutschen mit ihren Verwandten in Deutschland ein. Die damalige sowjetische Regierung änderte ihre Einstellung gegenüber den Ausreisewilligen erst mit Michail Gorbatschows Politik der Glasnost (1985) und Perestroika (1986). Von besonderer Bedeutung war für die Sowjetbürger das Recht auf freie Ausreise aus der Sowjetunion (UdSSR), das 1987 in Kraft trat. Für die Russlanddeutschen ermöglichte dies die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland oder in die damalige DDR ohne Bezug auf die Familienzusammenführung, sofern dafür eine Einreisegenehmigung erlangt werden konnte[7].

Viele Spätaussiedler, die nach Deutschland ausgewandert sind, berichten noch heute von den spürbaren Folgen des Krieges. Sie hatten mit Vorurteilen der russischen Bevölkerung in Russland, aber auch mit Vorurteilen der deutschen Bevölkerung in Deutschland zu kämpfen. Während den Russlanddeutschen in ihren Herkunftsgebieten ihre Deutschstämmigkeit vorgeworfen wurde und teilweise noch wird, werden Deutsche aus Russland in Deutschland - wenn sie Deutsch mit Akzent oder russisch sprechen - als Russen eingestuft. Dennoch haben sie wie auch ihre Nachkommen in Deutschland bzw. in Rheinland-Pfalz ihre neue, zweite Heimat gefunden. Heute leben in Deutschland rund 2,7 Millionen Russlanddeutsche aus den Nachfolgerepubliken der UdSSR[9].


[1] Ingenhorst, H., 1997, S. 17f
[2] www.auswanderung.rlp.de/auswanderung-nachosteuropa/russland.html
[3] Wikipedia
[4] Kompetenzzentrum für Integration, www.lum.nrw.de
[5] Dalos György, C.H. Beck  Verlag 2014, Geschichte der Russlanddeutschen
[6] Wikipedia
[7] BpB, (Spät-) Aussiedler in Deutschland, http://www.bpb.de/apuz/156779/spaet-aussiedler-in-deutschland
[8] Siehe http://www.grenzdurchgangslager-friedland.niedersachsen.de
[9] www.DW-WORLD.DE

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