HegerGuss

Die Männer vom Stiefel...

Der Kaiserslauterer Metallbetrieb Heger-Guss gehörte zu den Unternehmen, die ausländische Arbeitnehmer anwarben. Seniorchef Hans-Jakob Heger erinnert sich.

Deutschland – Wirtschaftswunderland. Zu Zeiten der Vollbeschäftigung herrschte eklatanter Arbeitskräftemangel. Dank des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und Italien 1955 fanden zahlreiche Betriebe tatkräftige Unterstützung aus dem Süden.

Zu den ersten Unternehmen, die den »Männern vom Stiefel« Arbeit boten, zählte das Eisenwerk Heger & Müller im pfälzischen Enkenbach, das heute unter dem Namen »HegerGuss« firmiert. Hans-Jakob Heger, Enkel des Firmengründers Carl Heger, erinnert sich an die Fünfzigerjahre, als Arbeitslosigkeit ein Fremdwort war. »In Deutschland gingen den Unternehmen vor lauter Arbeit die Leute aus«, sagt der heute über 70-Jährige, der von 1965 bis 2002 an der Spitze des großväterlichen Betriebs stand.

Porträt von Hans-Jakob Heger
Anwerbe-Pionier Hans-Jakob Heger.

Im Zuge der boomenden Wirtschaft hatten zahlreiche Branchen einen besonders hohen Bedarf an Arbeitskräften. »Es war eine gute Zeit für die Bauindustrie, dort wurde anständig bezahlt. Davon haben auch andere, baunahe Sparten profitiert, wie etwa wir als Gießerei.« Wenngleich die Auftragsbücher voll waren, folgten immer wieder Mitarbeiter dem Lockruf der Konkurrenz.

Was war also zu tun, um deutsches Personal zu binden und neue Angestellte zu rekrutieren? Der Enkenbacher Betrieb zahlte wie viele Unternehmen Löhne über Tarif und bot so manch weitere Vergünstigung: »Damals hatten die einzelnen Arbeiter in der Regel kein Auto. Von unseren seinerzeit 120 Beschäftigten besaßen vielleicht drei einen fahrbaren Untersatz«, sagt Heger rückblickend. Also wurde rasch ein VW-Bus angeschafft, mit dem man die Angestellten an ihren Wohnorten abholte. »Das war eine gehörige Erleichterung für unsere Arbeiter. Wir haben sie im Vergleich zur Situation der vorangegangenen Jahre regelrecht verwöhnt, aber nicht einmal das reichte, um sie an den Betrieb zu binden.«

So musste das Unternehmen neue Quellen an Arbeitskräften erschließen. Die Lösung: Gastarbeiter aus dem Ausland. »Uns kam damals ein glücklicher Zufall zur Hilfe.« Hegers Onkel Maurizius, ein im saarländischen Sankt Ingbert lebender Kapuziner-Pater, stand in Kontakt zu dem Italiener Ignazio Fornieri, der im Auftrag von Firmen Arbeiter in Italien anwarb. Auf einer Liste hatte er die Namen geeigneter Kandidaten für den deutschen Arbeitsmarkt verzeichnet. Hans-Jakob Heger, 1959 noch Student an der Technischen Universität in Kaiserslautern, reiste ins italienische Verona, und suchte aus jener Liste geeignete Arbeiter für den heimischen Betrieb aus. »Es war wie bei einer Musterung. Da standen an die 100 Männer mit nacktem Oberkörper und warteten darauf, untersucht zu werden.«

Junge, kräftige Burschen suchte man. »Der ganze Trupp, den Fornieri zuvor angeworben hatte, kam aus einem Dorf in der Nähe von Enna.« Im Februar 1960 kamen die ersten 15 Italiener nach Enkenbach, weitere 30 folgten in den kommenden beiden Jahren.

Die Männer lebten in einem eigens errichteten Wohnheim auf dem Firmengelände. Staatliche Förderprogramme oder institutionelle, beratende Unterstützung standen der Geschäftsführung in jenen Jahren nicht zu Verfügung. »Man konnte damals nicht auf gemachte Erfahrungen oder auf spezielle Programme zurück greifen«, sagt der engagierte Unternehmer, der nicht nur Träger des Bundesverdienstkreuzes und verdienter Ehrenamtler ist, sondern auch im Vorstand der metallindustriellen Arbeitgeberverbände (Gesamtmetall) saß und die Position des zweiten Vorsitzenden des Kuratoriums der Universität Kaiserslautern inne hatte. »Wenn die Not groß ist« – in diesem Fall die Not, zu wenige Arbeiter zu finden – »kann kein Unternehmer auf Programme oder Fördermittel warten.« Immerhin: An Probleme mit den Behörden, wenn es etwa um Aufenthaltsgenehmigungen oder die Arbeitserlaubnis ging, können sich weder Heger noch der damalige Personalchef Josef Scheffler erinnern.

Nach ihrer Ankunft in Enkenbach mussten die Italiener, die keinerlei Erfahrung in der industriellen Produktion besaßen, zunächst angelernt werden. »Sie hatten am Anfang eine ganz andere Arbeitskultur, da sie aus dem landwirtschaftlichen Bereich kamen«, blickt Heger schmunzelnd zurück. »Sie waren fleißig und daran gewöhnt, früh aufzustehen. Aber manche von ihnen hatten zwei linke Hände.«

Und was hat die Firma für die Integration ihrer ausländischen Mitarbeiter getan? »Einfache Frage, einfache Antwort: Nichts! Es waren ja nicht so viele, und sie haben auch nichts erwartet in dieser Hinsicht.« Sprachunterricht etwa gab es nicht, »es wurde ihnen gerade einmal so viel beigebracht, dass sie die Arbeitsanweisungen verstanden«. Eine offizielle Vertretung im Betriebsrat besaßen die Italiener ebenso wenig, gleichwohl gab es einen »Neben-Betriebsrat«, der sich vor allem um Angelegenheiten des Wohnheims kümmerte. »An einem Mangel an Eingebundenheit im Betrieb litten die Gastarbeiter keineswegs«, betont Heger. »Sie waren sehr wohl integriert!« Ein Mann wie Antonio »Toni« Gagliano etwa habe bei HegerGuss und in Enkenbach schon als Institution gegolten: »Den kannte hier jeder.«

Zwei italienische Gastarbeiter singen am Mikrofon
Sangesfreudige Italiener: Betriebsfest 1964.

Gagliano war immer für eine spontane Idee zu haben, wie er bei der Betriebsfeier 1964 unter Beweis stellte: Nachdem die Sänger des Pfalztheaters ihren Gastauftritt bei der Feier beendet hatten, »klatschten die Deutschen brav Beifall. Die Italiener aber, allen voran Toni, sind selbst auf die Bühne geklettert und haben Lieder wie »Marina« oder »Ciao, Ciao Bambino« zum Besten gegeben«, blickt Heger vergnügt zurück. »Die Sänger vom Pfalztheater haben noch zehn Jahre später davon geredet.«

Ihre Freizeit verbrachten die Italiener meist zusammen im Wohnheim. Probleme der Gastarbeiter untereinander gab es kaum, »sie waren stets friedvoll«. An Wochenenden besuchten die Südländer Kneipen und Gaststätten in Kaiserslautern oder Mannheim. Das aber war nicht der Grund für das Phänomen, das Heger mit den folgenden Worten beschreibt: »Wir wussten freitags abends nicht, wer montags noch zum Arbeiten da war.« Die Italiener hätten eine »extrem hohe Verdunstungsquote« gehabt, sie »diffundierten in die Bevölkerung«.

Durch den Vertrag mit HegerGuss hatten die Gastarbeiter die Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik erhalten, viele von ihnen suchten sich jedoch nach einiger Zeit besser bezahlte Tätigkeiten in anderen Unternehmen. »Das war für uns sehr frustrierend und hat dem Betrieb auch Schwierigkeiten bereitet.« Die Konsequenz: Anfang der 1960er Jahre warb Heger Griechen an. Nicht aus ihrer Heimat, sondern Männer, die bereits in Deutschland lebten. »Im Gegensatz zu den »hochflexiblen« Italienern waren sie stabiler.« In den folgenden Jahren warb das Unternehmen türkische Mitarbeiter an, die man direkt vor Ort in der Türkei rekrutierte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich im Betrieb bereits einiges für die ausländischen Mitarbeiter geändert: Schliefen anfangs etwa sechs Mann in einem Raum des Wohnheims, gab es später Einzelzimmer.

Betriebsfeier bei HegerGuss
Ignazio Fornierei (2. v.l.) warb in Italien Arbeitskräfte an.

Wurden den Italienern einst nur rudimentäre Sprachkenntnisse  vermittelt, um ihre Arbeiten ausführen zu können, nahmen die Türken am Sprachunterricht teil.


»Wir haben aus den Erfahrungen, die wir mit unserer ersten Gruppe an Gastarbeitern gemacht haben, gelernt.«

­— Hans-Jakob Heger