Die BASF und ihre »ausländischen Aniliner«


»Is’ wurscht, wo er herkummt, bringe muss er’s.«

­— Betriebsratsvorsitzender Oswald
im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung »40 Jahre ausländische Mitarbeiter bei der BASF«, 2000


Im März 1960 war es soweit. Die ersten 300 angeworbenen italienischen Arbeitsmigranten stiegen abends am Ludwigshafener Bahnhof aus, um für die »Badische Anilin- & Soda-Fabrik« (BASF), dem größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz, zu arbeiten. Ein Stimmengewirr temperamentvoller Menschen erfüllte die neuen Baracken, als sich der Zug der frisch angeworbenen »Gastarbeiter« auf die Zimmer verteilte. Jeweils sechs Männer belegten von nun an einen Raum. Sie hatten einen Jahresvertrag unterschrieben, der ihnen 650 DM brutto im Monat zusichert. Ein kleines Vermögen für Viele [Artikel aus der Rheinpfalz 31.3.2005].

Das fortdauernde, deutsche Wirtschaftswunder hatte die BASF dazu veranlasst, ausländische Arbeiter anzuwerben. Deutsche Arbeitskräfte waren kaum noch zu bekommen, da die anhaltende Vollbeschäftigung in Ludwigshafen zu einer Arbeitslosenquote von 1,3% im Jahr 1960 geführt hatte, die bis 1962 auf sensationelle 0,7% absinken sollte. Händeringend suchte die Firmenleitung nach Arbeitern. Der Bedarf an Arbeitskräften war so groß, dass es schon bald egal war, aus welchem Land die Menschen kamen:


»Wir bemühten uns auch in Griechenland, Spanien und Jugoslawien Mitarbeiter zu finden. Zusammen mit einem Werksarzt bin ich nach Athen oder Verona geflogen, um vor Ort die Bewerber anzuschauen. Waren sie gesundheitlich fit, erhielten sie direkt ihren Arbeitsvertrag.«

­— Harry Kleider, Leiter des damaligen Personalwesens Gewerbliche Arbeitnehmer
[BASF Informationen, »Neue Heimat in der Fremde«, 30.3.2000]


Beispiel eines Arbeitsvertrages für griechische Gastarbeiter, 1962 / Ausschnitt aus der BASF Intern 9, 1972, Seite 4

Die Beschäftigung von Ausländern hatte bei der BASF eine lange zurückreichende Tradition. Bereits im 19. Jahrhundert wurden vereinzelt ausländische Arbeitssuchende angestellt. Ihr Anteil vergrößerte sich in den 1950er und 1960er Jahren mit dem wachsenden Erfolg des Unternehmens. Die Produktionssteigerungen in der chemischen Industrie ließ die Anzahl der ausländischen Kolleginnen und Kollegen rapide anwachsen. Ende 1965 verzeichneten die Personalstatistiken 2.685 ausländische Mitarbeiter, insgesamt 5,6 % der Gesamtbelegschaft, darunter 897 Griechen als größte Gruppe und an dritter Stelle 432 Spanier. Stetige Neueinstellungen erhöhten ihren Anteil auf 5.245 oder 9,7 % aller Arbeitnehmer [BASF Personalstatistik].

Statistik von BASF

Die Zusammenarbeit zwischen Ausländern und Deutschen war nicht immer einfach. Um Missverständnisse zu beseitigen, waren Dolmetscher pausenlos unterwegs. Ihre Rolle blieb nicht nur auf das reine Übersetzen beschränkt. Vielmehr fungierten sie auch als Sozialarbeiter und Ratgeber in allen Lebenslagen, am Arbeitsplatz und in den Unterkünften der BASF.

Die Wohnheime in der Nähe der Produktionsanlagen hatten funktionalen Charakter. Man kochte dort und knüpfte freundschaftliche Kontakte über den Kreis der eigenen Nation hinaus. Heimische Zeitungen wurden herumgereicht und die Werkszeitung »BASF Informationen« gelesen, in der man die wichtigsten Passagen in die griechische, italienische, türkische und jugoslawische Sprache übersetze. Zusätzlich sollten Sprachkurse für ausländische Mitarbeiter dazu beitragen, Sprachbarrieren abzubauen. Hinsichtlich einer betrieblichen Mitbestimmung existierte seit 1972 innerhalb der BASF ein »Ausländer-Ausschuss«, der einmal im Monat tagte und beratende Funktion ausübte. Im selben Jahr nahmen die ersten ausländischen Vertrauensleute ihre Arbeit auf, bevor die Mitarbeiter erstmals 1975 zwei ausländische Werksangehörige in den Betriebsrat wählten [1].

Auch abseits der beruflichen Betreuung setzte sich die BASF für ihre ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. So etwa richtete die Firma Vorbereitungskurse ein um den Einstieg von Migrantenkindern ins Berufsleben zu erleichtern. Neben der Vermittlung von technischem Wissen stand intensiver Deutschunterrichtet auf dem Lehrplan.

Der Erfolg dieser breitgefächerten, integrativen Maßnahmen spiegelt sich heute bei den aktuell rund 2000 »ausländischen Anilinern« wieder. Nicht selten sind mehrere Generationen einer Familie im Ludwigshafener Unternehmen angestellt.

Statue aus Carrara-Mamor »In Anerkennung der Integrationsbemühungen« von BASF
© BASF

BASF honorierte die Arbeitsleistung und Treue dieser Menschen im Jahr 2000 im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung »40 Jahre ausländische Mitarbeiter bei der BASF«, in der die italienische Stadt Carrara, aus der die ersten angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten stammten, eine 1,8 Tonnen schwere Statue aus Carrara-Marmor »in Anerkennung der Integrationsbemühungen« an die Firmenleitung übergab.


»Wir fördern kulturelle Vielfalt innerhalb der BASF-Gruppe und arbeiten als Team zusammen. Interkulturelle Kompetenz ist unser Vorteil im globalen Wettbewerb.«

­— BASF, Gesellschaftliche Verantwortung 2000


BASF sieht sich heute als weltweit agierendes Unternehmen den Werten von ethnischer Vielfalt, Toleranz und Internationalität verpflichtet. Diese Ausrichtung zeigte sich acht Jahre später in der Teilnahme des Vorstandsvorsitzenden der BASF SE Jürgen Hambrecht anlässlich der Veranstaltung »Deutschland sagt Danke!« Unter diesem Motto würdigte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 1. Oktober 2008 erstmals die Leistungen der ausländischen Arbeitskräfte für Deutschland. Sie empfing an diesem Tag im Bundeskanzleramt 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der ersten Generation von »Gast- und Vertragsarbeitern«. Drei Monate nach diesem Treffen schilderte Bundeskanzlerin Merkel nicht ohne Augenzwinkern ihre Eindrücke folgendermaßen [2]:


»Ich habe bei dieser Gelegenheit auch erfahren, dass – wie viele andere – zum Beispiel auch der heutige Chef der BASF, Herr Hambrecht, seine kargen Italienisch-Kenntnisse einem italienischen Gastarbeiter verdankt. Denn beide haben sich damals bei der BASF gegenseitig ihre jeweilige Sprache beigebracht: Der eine dem Italiener Deutsch und der andere dem Deutschen Italienisch. Der italienische Arbeiter ist aber heute im Deutschen besser als Herr Hambrecht im Italienischen.«

­— Ex-Bundeskanzlerin Merkel