Im Rampenlicht: Armando Rodrigues de Sá

Armando Rodrigues de Sá [1] gehört zweifellos zu den bekanntesten Gesichtern des 20. Jahrhunderts. Er ist der »millionste Gastarbeiter«, die Ikone der Arbeitsmigration. Sein Antlitz ist bekannt, sein Name und seine Biografie sind es nicht. Die Öffentlichkeit weiß so gut wie nichts über den 38-jährigen Zimmermann aus dem kleinen nordportugiesischen Örtchen Vale de Madeiros. Zu vergänglich war sein Ruhm. Er beschränkte sich auf einen kurzen Augenblick, als er am 10. September 1964 seinen Zug in Köln-Deutz verließ, um von den anwesenden Reportern auf dem Bahnsteig fotografiert zu werden.

Der »große Bahnhof«, dem man ihm bereitete, war Rodrigues sichtlich unangenehm. Er war es nicht gewohnt, im Rampenlicht zu stehen, denn bis zu diesem Zeitpunkt verlief sein Leben beschaulich: Heirat mit 19 Jahren, Geburt zweier Kinder und eine langjährige Arbeitsstelle in der »Companhia Nacional de Fornos Electricos«, einer Fabrik, die Kalkstein und Quarz zu Silizium und Kunstdünger verarbeitete.

Dort war die Arbeit schwer und die Entlohnung gering. Sein Tagesverdienst betrug ganze 31 Escudos (4 DM). Später konnte er aus Deutschland in manchen Monaten nach Abzug aller Ausgaben 500 DM nach Hause schicken. Ein Vermögen in dieser Zeit. Aus diesem Grund hatte er sich entschieden, nach Deutschland zu gehen. 

Die gesundheitlichen Überprüfungen verliefen ohne Probleme, obwohl er mit 38 Jahren zu den Älteren gehörte. Mehr als zwei Drittel aller in Portugal angeworbenen Arbeitskräfte waren jünger als 35 Jahre. Vielleicht gab seine Ausbildung als Zimmermann den Ausschlag, denn Fachleute wurden gesucht.

Mit dem Zug fuhr Armando Rodrigues nach Deutschland. Mehr als zwei Tage dauerte die Reise, bis er schließlich Köln-Deutz erreichte. Per Blindtippen auf einer Liste hatten die Verantwortlichen des Bundesverbands der Deutschen Arbeitnehmerverbände dort entschieden, dass er der Glückliche sein sollte, dessen Name durch die Lautsprecher gerufen wurde. Er erschrak, als er ihn hörte. Zu groß war seine Angst, dass der Arm der gefürchteten portugiesischen Geheimpolizei PIDE bis nach Deutschland reichen könnte. Portugal war zu diesem Zeitpunkt eine Diktatur und polizeiliche Willkür an der Tagesordnung.

Seine Sorgen waren unbegründet. Nicht Willkür erwartete ihn, sondern Blumen und ein Willkommensgeschenk, ein Mokick der Marke Zündapp. Der Aufenthalt in Köln währte nur kurz. Bereits am Nachmittag fuhr er weiter. Seine erste Arbeitsstelle führte ihn nach Stuttgart zu einer Baufirma. Später arbeitete er in Blaubeuren in einer Zementfabrik, danach machte er Station in Sindelfingen, Wiesbaden und Mainz. Er lebte sparsam, ging nicht ins Kino, nur sonntags ins Café, um Landsleute zu treffen. Vier von fünf D-Mark schickte er nach Hause. Seine Unterkunft war oftmals eine Baracke, die für zahlreiche Mitbewohner einzig zwei Küchen, eine Gemeinschaftstoilette und im Schlafraum Doppelbetten bot. Zwei- bis dreimal pro Woche schrieb er nach Hause und berichtete über Deutschland nur Gutes. Es sei »ein Land des Geldes«. 

Ansicht des kleinen Cafés von Armando Rodrigues
Armando Rodrigues kaufte sich mit seinem in Deutschland verdienten Geld ein kleines Café in seiner Heimatstadt.

Während eines Heimaturlaubs im Jahr 1970 ließ er seine Magenschmerzen untersuchen. Er glaubte, sie stammen von einem Arbeitsunfall. Der portugiesische Arzt mahnte zur Vorsicht: »Wenn Du zurück nach Deutschland gehst, wirst Du Deine Knochen dort lassen«. Der millionste »Gastarbeiter« kündigte darauf seine Anstellung in der Bundesrepublik und blieb in seiner Heimat. Später stellte sich heraus, dass die Schmerzen von einem Magentumor stammen. Wäre er in Deutschland geblieben, hätte die Krankenkasse die Arztkosten bezahlt. So zehrten die Kosten für die medizinische Behandlung seine Ersparnisse auf. Am Ende war der voranschreitende Krebs nicht mehr zu stoppen. Am 5. Juli 1979 starb Armando Rodrigues de Sá, 15 Jahre nach seiner bejubelten Ankunft in Köln.

Was von ihm bleibt, ist das Foto des millionsten Gastarbeiters, das als Sinnbild für die deutsche Einwanderungsgeschichte seinen Platz in unserer Erinnerungskultur gefunden hat.

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Quellenangaben

  1. Der folgende Text bezieht sich auf: www.angekommen.com/iberer/Mio/millionster.html, Abruf 09.08.2014, Veit Didczuneit, Armando Rodrigues de Sá, der millionste Gastarbeiter, das geschenkte Moped und die öffentliche Wirkung. Rekonstruktionen, in: www.angekommen.com/iberer/Doku/tagung-ditsch.pdf, Abruf 09.08.2014 und Veit Didczuneit, Hanno Sowade, Zündapp Sport Combinette, Geschenk für den millionsten Gastarbeiter, Bonn 2004. 
  2. www.angekommen.com/iberer/Doku/tagung-ditsch.pdf, Abruf 07.08.2014