Der erste Schritt Richtung Deutschland – die Anwerbung

Den zukünftigen Arbeitsmigrantinnen und -migranten fiel die Entscheidung, ihren Weg zum Anwerbebüro anzutreten, nie leicht. Man haderte mit sich selbst, aus Angst vor der Fremde und aus Unmut, die bekannte Umgebung des Heimatdorfes zu verlassen.

»Am Anfang war das so: Ich bin mit meinem Vater auf dem Feld gewesen… ›Schau, dort geht Giorgio‹, sagte mein Vater… Ich habe ihm nachgeschaut, wie er mit seinem alten Koffer zum Hafen geht. Er wollte nach Deutschland, wie andere von unserer Insel… Ich habe immer noch gezögert… er kommt zurück und erzählt wie es ist. Aber Giorgio ist dort geblieben. Ich habe noch gewartet, weil man uns nach dem Krieg erzählt hat, ›die kochen dort Seife aus uns‹«, erinnert sich Joannis Halvos, ehemaliger Gaststättenbesitzer in Deutschland [1].

Mario Dándrea bei Daimler, 1971
Um in Deutschland einer Arbeit nachgehen zu können, standen tausende von Menschen vor den Türen der Deutschen Kommission Schlange.

Das Tor zur Einwanderung nach Deutschland stand mit dem Anwerbeabkommen, das am 30. März 1960 unterzeichnet wurde, offen. Anhand der bilateralen Vereinbarung öffnete in der Victor Hugo Straße Nr. 13, im Herzen Athens, am 2. Mai 1960 die Germaniken Epitropin en Elladi, die Deutsche Kommission  in Griechenland, eine Außenstelle der Bundesanstalt für Arbeit. Innerhalb der ersten Wochen haben sich dort über 4.000 Ausreisewillige beworben. Um dem Ansturm griechischer Arbeitssuchender Stand zu halten, drängte das deutsche Konsulat darauf, auch in den nördlichen Provinzen des Landes Zweigstellen der Deutschen Kommission zu eröffnen. Anfang 1962 nahm in Saloniki, in der Dodekanisou Straße, ein Anwerbebüro seine Arbeit auf. Schon bald musste Saloniki eine höhere Anzahl an Anträgen bearbeiten als Athen. Tausende von Menschen bewarben sich täglich. Am 8. Januar 1962 standen 6.000 Menschen vor den Türen der Deutschen Kommission in Saloniki. Die deutschen Anwerbebüros organisierten das Anwerbe- und Vermittlungsverfahren in Griechenland. Das griechische Arbeitsministerium entsandte im Gegenzug »Griechische Kommissionen« in deutsche Großstädte. Diese wurden mit der Betreuung griechischer Arbeitsmigrantinnen und –migranten vor Ort beauftragt [2].

Die Deutsche Kommission in Griechenland hat zwischen 1960 und 1973 insgesamt 382.000 Griechen vermittelt. Hinzu kommen 60.000 Menschen, die über den sogenannten »zweiten Weg« in die Bundesrepublik einreisten, also über die Botschaft und die Konsulate, sowie eine beachtliche Zahl Illegaler, die in der deutschen Wirtschaft einen Arbeitsplatz fanden. Höhepunkt der Vermittlung war das Jahr 1970 mit 50.000 eingewanderten Menschen. Nach 1970 reduzierte sich die Zahl der durch die Kommission angeworbenen Arbeitskräfte drastisch; 1971 auf 30.000, im Folgejahr reduzierte sich die Zahl auf 17.000, ab 1972 suchten nur noch 5.000 Griechinnen und Griechen einen Arbeitsplatz in Deutschland. 1974 wurde fast niemand mehr in die Bundesrepublik vermittelt [3].
 
Einer Statistik von 1964 zufolge, handelte es sich bei den meisten emigrierten Griechen um ungelernte Arbeitskräfte und Landarbeiter mit sehr geringem Bildungsniveau. Es war nicht ungewöhnlich, dass die meisten weder lesen noch schreiben konnten. Nur 9% der Ankömmlinge verfügte über eine Fachausbildung [4].

Du kommst hier nicht rein

Natürlich stand nicht allen Tür und Tor offen, um das Glück in Deutschland zu suchen. Die Kommission akzeptierte nur Arbeitssuchende mit der grünen Karte, der »Prassina Charta«, auf der ihre absolute Gesundheit attestiert war. Untersucht wurden die Arbeitnehmer in spe auf jegliche körperlichen Leiden. Von der überstandenen Tuberkulose bis hin zum Leistenbruch – alles, was den Menschen als ungeeignet erscheinen ließ, um am Fließband, der Gießerei oder dem Bau zu arbeiten, wurde als Ablehnungsgrund betrachtet. Schließlich konnte man aus einer Schar hundertprozentig gesunder Arbeiterinnen und Arbeiter wählen [5]. Der gesunde und arbeitswillige Mensch stand im Fokus. Auf Fach- oder Sprachkenntnisse legte man kaum einen Wert.

So kam es häufig vor, dass bei den Untersuchungen durch die Deutschen Kommissionen gleich vor Ort viele Bewerber abgelehnt wurden. Allein 1963 wurden von 46.830 Personen ganze 3.069 abgelehnt [6].
 

Griechische Auswanderer im Jahr 1964 nach Berufsgruppen

 
BerufeGriechische Auswanderer
Freie und techn.Berufe852
Direktoren und Verwaltungsbeamte114
Büroangestellte1.942
Verkäufer usw.622
Landarbeiter28.725
Metallarbeiter137
Transportarbeiter1.553
Industriearbeiter27.706
Hausangestellte1.497
Ohne Beruf42.421
Gesamt105.569

Quelle: Kladas (1965)

Inoffiziell: Kettenmigration und die direkte Anwerbung der Firmen 

Es war häufig zu beobachten, dass in einer deutschen Stadt die gesamten griechischen Zuwanderinnen und Zuwanderer aus einem einzigen Dorf stammten. Netzwerke und Kontakte zu bereits Ausgewanderten waren für die »Gastarbeiter« sehr wichtig und entscheidend dafür, wo man in Deutschland hinziehen wollte. Die griechische Arbeitsmigration war stark von Kettenwanderung geprägt[7]. Illegal Eingereiste versuchten es auf gut Glück und fanden in vielen Fällen in Deutschland eine neue Zukunft.

»Mit ein paar alten Kleidern im Koffer bin ich nach Alexandropolis gefahren, dann nach Deutschland. Aber am Bahnhof hat mir niemand Arbeit gegeben, und deutsch reden konnte ich ja nicht. Ich habe zwei Nächte im Bahnhofshotel geschlafen, nicht verstanden, warum die mich am dritten Tag schon am Morgen hinausschmeißen, wo ich so viel Geld dort gezahlt habe. Auf der Bank hab‘ ich geschlafen, bis ich andere Griechen getroffen habe, die haben mich auf den Bau gebracht«, erzählt Joannis Halvos über seine ersten Tage in Deutschland [8].
 

Die Auswanderung – ein Übel schlimmer als der Krieg

»Nur Alte und Kinder hier. Viele Familien sind zerstört«, klagte 1971 der Gemeindevorsteher Savas Deligiannidis. Sein Ort zählte einstmals 6.000 Einwohner. 1971 umfasste es kaum mehr als 3.000 Menschen [Der Spiegel 49/1971, S. 118 ff]. Fast 10% der Griechen wanderten in den 1960er Jahren aus. Manche Dörfer verloren die Hälfte ihrer Einwohner. Diejenigen, die zurückblieben, waren entweder zu alt, zu krank oder zu jung, um in der Fremde zu arbeiten.

Vater mit Kindern
Junge, arbeitswillige Menschen wanderten aus – zurück blieben verwaiste Dörfer.

Die griechische Zeitung »To Vima« schrieb: »Die Beschäftigung von Arbeitern im Ausland hat sich als ein Übel erwiesen, das schlimmer ist als der Krieg. Ganze Dörfer sind verödet, Anbauflächen liegen brach, Reichtumsquellen bleiben ungenutzt«[Der Spiegel 48/1971, S. 138ff].


Bereits Ende der 1960er Jahre warnten griechische Regierungsvertreter, die Auswanderung würde Engpässe auf dem heimischen Arbeitsmarkt verursachen und die Entwicklung des Landes hemmen. Nur einige Jahre bewahrheitete sich diese Prognose: Der Industrieverband meldete spürbaren Arbeitskräftemangel. In einigen Branchen, wie in der Leichtindustrie, dem Berg- oder Schiffsbau konnten tausende Stellen nicht besetzt werden mit der Folge, dass die Regierung versuchte, die Auswanderung zu kontrollieren. So ließ man nur noch Frauen und Landarbeiter ausreisen. Intensive Bemühungen, die Abwanderung zu bremsen, oder die bereits Ausgewanderten zurückzuholen, waren jedoch nicht im Interesse der damaligen Obristen-Diktatur. Die Machthaber in Athen wollten keine Rückkehrer aus Deutschland, die mit Ideen über Demokratie nach Hause kommen. Die Devisen, welche die Arbeitsmigranten ihren Familien zukommen ließen, waren als Finanzspritzen für die griechische Konjunktur auch bei der Militärjunta mehr als willkommen [Der Spiegel 49/1971, S. 118 ff].

PfeilNach oben


Quellenangaben

  1. Sedler 203, S. 55
  2. Vgl. Geck, 1979 S 32 f., vgl. a. Gogos, 2004 S. 822
  3. Ziegler, 1975 S. 128f.
  4. Vermeulen 2008, 19
  5. Vgl. Gogos 2005, S. 823
  6. ANBA, 1965 S. 19
  7. Vermeulen 2008 S. 22
  8. Sedler 2003, S. 55