Ibrahim Sahin

Geboren 1952 in Istanbul, Einreise nach Deutschland im Jahr 1970.


»Der Westerwald ist unsere zweite Heimat. Ich lebe lieber hier als im hektischen Istanbul. Hier ist es ruhiger und schöner.«

— Ibrahim Sahin


Ibrahim Sahins Vater arbeitete von 1965 bis 1978 als Gastarbeiter in Ransbach-Baumbach. Dieser forderte seinen Sohn auf, ebenso nach Deutschland zu kommen und bei der Firma Spang zu arbeiten. Der junge Ibrahim Sahin reiste daraufhin mit dem Flugzeug von Istanbul nach München, wo er einige Zeit in einem großen Wartesaal verbrachte. Geplagt von Nervosität und Angst, verbrachte Ibrahim Sahin nach eigener Aussage einen der »schlimmsten Tage seines Lebens«. Am Münchener Hauptbahnhof gab ihm schließlich ein Dolmetscher das Zugticket nach Ransbach-Baumbach, mit dem Hinweis, in Koblenz umsteigen zu müssen. Da nach der Ankunft in Koblenz niemand den jungen Mann abholte, wiederholte Ibrahim Sahin aus lauter Verzweiflung ständig das Wort »Ransbach«. Daraufhin verkaufte ihm ein Ticketverkäufer gegen Bezahlung in türkischen Lira eine Fahrkarte und wies ihm den Weg zum Zug nach Neuwied. Dort angekommen, wechselte Ibrahim Sahin in den Zug nach Ransbach, wo er von seinem Chef abgeholt wurde.

Ebenso wie sein Vater arbeitete Ibrahim Sahin bei der Firma Spang als Keramikarbeiter. In der Türkei hatte er fünf Jahre als Schweißergehilfe sein Geld verdient. Nach nur einer Arbeitswoche erlitt Ibrahim Sahin aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen einen schweren Betriebsunfall, wobei seine Hand unter eine Presse geriet. Die Genesung nach der Operation im Krankenhaus dauerte drei Monate.

Das Anmieten einer Wohnung war für TürkInnen schwierig, weshalb auch Ibrahim Sahin in der ersten Zeit im Arbeiterwohnheim lebte. Seine Familie kam im Jahr 1976 nach Deutschland, wo sie sich zunächst eine Ein-Zimmer-Wohnung teilten. Nach einem Arbeitsplatzwechsel zur Firma Keramano verdiente Ibrahim Sahin besser und konnte sich und seiner Familie 1987 ein Haus kaufen. Frau Sahin fühlte sich zu Beginn sehr fremd und einsam und hatte Angst, das Haus zu verlassen. Zur Gewöhnung an ihre neue Umgebung trug entscheidend die Hilfe der Schwiegereltern bei, die sie beispielsweise beim Einkauf unterstützten. Die Eltern von Ibrahim Sahin übersiedelten jedoch 1978 wieder zurück in die Türkei.

Ibrahim Sahin lernte innerhalb weniger Monate durch die Mithilfe seiner ArbeitskollegInnen Deutsch, ohne je einen Kurs besucht zu haben. In seiner Freizeit fuhr er gerne nach Koblenz, um neue schicke Kleidung und Geschenke für die Verwandten in der Türkei zu kaufen. Zum weiteren Freizeitprogramm gehörte eine türkische Radiosendung, die täglich 20min im WDR lief, sowie ein türkisches Programm sonntags im WDR Fernsehen.

Auf die Frage hin, ob Ibrahim Sahin Sehnsucht nach der alten Heimat verspüre, antwortet er: »Wenn ich über die Grenze fahre, halte ich an der ersten Bäckerei und kaufe Simit (Sesamkringel). So etwas Gutes finden Sie in keiner deutschen Bäckerei. Aber natürlich mögen wir das deutsche Vollkornbrot sehr gerne, es ist viel gesünder als türkisches Weißbrot.« Das Ehepaar Sahin verbringt jedes Jahr die Sommermonate in Izmir und Istanbul. Im Winter bevorzugen sie bei kalten Temperaturen die deutsche Zentralheizung statt des Kohleofens in der Türkei.

Interview geführt am 02.03.2010 in Ransbach-Baumbach durch L. Heidrich und C. Niese.

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