Dolores Piunno


»Zurück in meine Heimat wollte ich heute nicht mehr!«

— Dolores Piunno


Dolores Piunno lebt seit 1962 in Bad-Kreuznach. Die gebürtige Spanierin mit dem italienischen Nachnamen ist eine der rund 3.300 spanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, für die Rheinland-Pfalz zur Heimat geworden ist. 

Dolores Piunno als Kind mit Eltern und Geschwistern
Dolores Piunno (4. v. li.) mit Eltern und Geschwistern.

Als Tochter eines Landwirts wuchs sie mit ihren sieben Geschwistern in der andalusischen Stadt Granada auf. Kaum ein Besucher der charmanten Stadt, die für ihre zahlreichen Baustile und die weltberühmte Stadtburg »Alhambra« berühmt ist, kann sich heute die bittere Armut vorstellen, die hier noch vor Jahrzehnten herrschte. Zwischen 1950 und 1973 verließen rund 1,5 Millionen Menschen Andalusien, um in den größeren Städten Spaniens oder im europäischen Ausland Arbeit zu suchen.

Gemeinsam mit ihren beiden älteren Schwestern verließ Dolores Martinez im Alter von 13 Jahren ihr Zuhause und fand in Barcelona eine Anstellung als Kindermädchen, die ihr für vier Jahre ein Auskommen sicherte.

In den 1950er Jahren entwickelte sich Spanien zusehends als attraktive Urlaubsdestination. Die immens steigenden Gästezahlen schufen in der Hotellerie und Gastronomie neue Arbeitsplätze. Auch für Dolores Martinez fand sich eine Arbeit als Serviererin in einem Restaurant, das gerade bei deutschen Gästen sehr beliebt war.

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Ich habe in einem Restaurant gearbeitet und in dieser Zeit kamen so viele Deutsche. Als Kellnerin kannte ich nur ein paar Worte auf Deutsch. Und dann kam immer eine Familie aus Deutschland von der "Allgemeinen Zeitung", die waren Freunde von dem Chef in Spanien und die haben mich gesehen und gesagt "Dolores, komm nach Deutschland, wir bringen dir Deutsch bei." Dann bin ich hierhin gekommen, im Oktober, weil im Oktober das Restaurant geschlossen war. Und ich habe mich mit der Familie wohlgefühlt. Die sind arbeiten gegangen und haben gesagt, ich soll etwas Spanisches kochen. Ich habe dann "Albondigas" gekocht - das ist Hackfleisch mit Tomatensauce - und dann habe ich Tortillas mit Kartoffeln gekocht, so wie man das macht. Und dann habe ich Weißbrot, also Baguette, hergebracht und einen Weißwein aus dem Keller geholt und habe alles auf den Tisch gestellt. Als sie kamen, haben sie sich kaputtgelacht. Ich habe gefragt: "Was ist denn los? Warum lachen Sie?" "Wir in Deutschland, wenn wir zu Mittag essen, dann trinken wir keinen Alkohol und wir essen kein Weißbrot. Wir essen nur die Kartoffeln anstatt Brot", haben sie gesagt. Verstanden habe ich da ja nicht so viel, aber da habe ich gesagt: "Ja, aber in Spanien haben Sie das Weißbrot ja auch immer gegessen."

Auf ihren Wunsch, in Deutschland zu leben, reagierten ihre Eltern mit Unverständnis: »Deutschland, wo ist das überhaupt«, fragten sie.

Für Kost und Logis organisierte sie den Haushalt der Bad-Kreuznacher Familie und lernte ein wenig die deutsche Sprache. Nach zwei Monaten trat ein junger Italiener in das Leben der attraktiven Spanierin: Guiseppe Piunno arbeitete als Schreiner bei einem Küchenhersteller in dem Hunsrücker Dorf Schweppenhausen. Erst wenige Monate zuvor war der 21-jährige aus seinem Heimatport Campobasso in das für ihn fremde Deutschland gekommen.

Schon bald waren die regelmäßigen Treffen bei mittlerweile gemeinsamen Bekannten eine willkommene Abwechslung im Alltag. 

Mit wenigen, französischen Sprachkenntnissen überbrückten die junge Spanierin und der Italiener ihre anfänglichen Sprachbarrieren.

Der Wunsch, ein eigenes Leben außerhalb ihrer deutschen Gastfamilie zu führen, bewog die junge Frau, sich beim Arbeitsamt in Bad-Kreuznach um eine Stelle als Arbeiterin zu bewerben:

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Dann war ich hier beim Arbeitsamt, die haben mir einen Vertrag gegeben für Schweppenhausen. Die haben viele Leute, viele Mitarbeiter, gesucht. Aber dann konnte ich nicht arbeiten. Mein Pass war nur als Tourist für drei Monate gültig, aber nicht für länger. Also musste man mit diesem Vertrag vom Arbeitsamt zum Chef nach Spanien, dann dort zum deutschen Konsulat und zum Arzt für eine Untersuchung. Und dann bekam man einen Stempel in den Pass und dann bin ich zurück, dann konnte man arbeiten.

Trotz des unterzeichneten Arbeitsvertrags mit einem deutschen Unternehmen war Dolores Martinez gezwungen, zurück nach Spanien zu reisen um alle Stationen des regulären deutsch-spanischen Anwerbeabkommens zu durchlaufen. Da Spanien im Gegensatz zu Italien erst ab dem 01. Juni 1985 der EG angehörte, musste zunächst ein Antrag bei dem deutschen Konsulat gestellt und die obligatorischen, medizinischen Untersuchungen überstanden werden. Erst dann erfolgte die ersehnte Arbeitsbewilligung.

Die meisten Arbeitsmigrantinnen und –migranten starteten ihre zweitägige Reise vom zentralen Sammelpunkt Madrid aus via Zielbahnhof Köln-Deutz. Von hier aus wurden sie zu ihren bundesweiten Bestimmungsorten weiter geleitet. Dolores Martinez hingegen organisierte und bezahlte ihre Rückreise in eigener Initiative. Mit dem Europabus erreichte sie Frankfurt, wo sie von ihrer früheren Gastfamilie in Empfang genommen und nach Bad-Kreuznach gebracht wurde. Wenige Tage später begann ihr neuer Lebensabschnitt bei dem Hersteller für Küchenmöbel in Schweppenhausen. Für ihre Unterkunft war im betriebseigenen Wohnheim gesorgt:

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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In Schweppenhausen hat man solche Zimmer gehabt, da waren zehn Spanierinnen und sieben Italienerinnen drin, alles Frauen. Und dann hatte ich ein bisschen Deutsch gelernt mit dieser Familie und dann habe ich diesen Leuten ein bisschen geholfen, nicht direkt gedolmetscht, weil so viel wusste ich nicht, aber ich habe ein bisschen geholfen. 

Dolores Martinez im Betrieb von Scheppenhausen, 1962
Die Tätigkeit von Dolores Martinez (4. v. links) bestand in der Reinigung der fertig produzierten Küchen und dem Abladen von LKWs.

Der Zusammenhalt der ausländischen Kolleginnen half sehr, das aufflammende Heimweh zumindest ein wenig zu bekämpfen:

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Wir hatten immer Heimweh. Aber ich hatte hier zehn spanische Frauen und dann hat man nicht so viel vermisst - von unserem Land oder unserer Familie oder von sowas konnten wir uns gut erzählen. Das war immer abends, da haben wir zusammen gesessen. Und für viele Frauen war es noch viel schlimmer, die waren sogar verheiratet oder hatten Kinder, die sie in Spanien gelassen haben. Die sind nur zum Geld verdienen hierher gekommen, weil die Männer oft noch viel Landwirtschaft hatten. Aber wir haben uns nicht so traurig gefühlt, weil wir abends immer zusammen gesessen haben. 

Auch außerhalb des Arbeits-und Wohnumfelds ergaben sich trotz der Sprachbarrieren sehr schnell Kontakte zu den Dorfbewohnern, wenngleich auch nur durch Laute und Gesten:

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Audiotranskript "Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten"

Vielleicht war es für uns besser in so einem kleinen Dorf. Die Leute kennt man schon, die begrüßt man, die wollen helfen. Oder wenn man in ein Geschäft gegangen ist, in so ein kleines Lebensmittelgeschäft, nicht so wie heute so ein Supermarkt, obwohl vielleicht gibt es noch keinen Supermarkt in Schweppenhausen, aber dann jedenfalls war es schwer einzukaufen, weil wir die Worte nicht kannten. Was heißt Kartoffel? Was heißt Wein? Was heißt Milch oder Öl? Und dann musste man suchen und suchen. Meine Freundin kam mal mit mir und hat gesagt: "Menschenskinder, ich brauche Eier. Aber was heißt jetzt Eier?" Und dann hat sie nur gesagt "Kikeriki, Kikeriki" für die Eier und dann hat man sich auch kaputtgelacht, aber die Leute haben uns auch geholfen. 

Bald schon sollte das Leben im Wohnheim für die junge Spanierin beendet sein. Guiseppe hatte für beide bereits ein kleines Haus gefunden, doch durften unverheiratete Paare in jenen Jahren nicht zusammen leben. Es wurden Hochzeitspläne geschmiedet, das Aufgebot bestellt, doch waren die nötigen Papiere plötzlich nicht mehr auffindbar.

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Wir wollten im Dezember heiraten, aber die Dokumente vom Chef sind verloren gegangen und dann musste man nochmal von vorne anfangen. Als alles fertig war, dann haben wir geheiratet: am 25. Juli. Und dann kam das ganze Dorf von Schweppenhausen. Die haben uns ein Fest gemacht in der Firma, auf der großen Wiese. Der Chef und die Leute haben alles organisiert. 

Weitere 3 Jahre war die frischgebackene Signora Piunno für den Küchenmöbelhersteller tätig. Jeder Pfennig wurde für die kleine Wohnung in Barcelona gespart, die bald gekauft werden konnte. Zunächst vermietete man die Neuerwerbung, hatte aber das Ziel vor Augen, in die Heimat zurückzukehren. Mit der Geburt der Tochter wurde der Gedanke ein erstes Mal zurückgestellt. Zwei Jahre später hatten sich die Lebensumstände mit der Geburt des Sohnes wiederum verändert. 

Dolores Piunno mit Familie
Mit der Geburt ihrer beiden Kinder rückte die Heimkehr nach Spanien immer mehr in weite Ferne.

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Bevor die Kinder in die Schule gehen, wollten wir nach Spanien zurück. Meinem Mann hat Spanien besser gefallen als sein Dorf in Italien. Und dann kam mein Sohn und dann sind die Kinder nachher in den Kindergarten, in die Schule und wir haben gesagt, wir warten ab und warten ab und jetzt sind wir immer noch hier. Jetzt möchte ich nicht mehr zurück, ehrlich gesagt. Ich habe mehr Bekannte hier, mehr Freunde und Bekannte, nicht nur Spanier, auch Deutsche. Die ganze Straße hier, mit den Leuten sind wir gut befreundet. Wir feiern bei mir Geburtstage oder sowas oder wir gehen zusammen zur Fastnacht. 

Familie Piunno ist eine der wenigen Familien, die Deutschland dauerhaft zu ihrem Lebensmittelpunkt wählten. Die meisten spanischen Gastarbeiter zog es wieder in die Heimat zurück: 

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Die Leute sind gekommen, um vielleicht ein paar Jahre hier Geld zu verdienen. Die haben hier sparsam gelebt. Das Geld haben sie nach Spanien geschickt. Vielleicht haben sie dort eine Wohnung gekauft oder ein Stückchen mehr Land für die Landwirtschaft, wie bei den Galiziern.
Ich glaube, in Spanien lebt man mittlerweile aber auch nicht schlecht. 

Familie Piunno
Neben der deutschen Sprache prägte das Spanische die Erziehung der Kinder. Etwas italienisch wurde nach Feierabend durch den Vater vermittelt. Für die Tochter lag es nahe, ihren mehrsprachigen Hintergrund für ein Sprachstudium an der Universität zu nutzen.

Nachdem sich das Ehepaar Piunno zum Bleiben entschied, erwarb es vor rund 30 Jahren ein hübsches Reihenhaus in Bad Kreuznach. Für den Lebensunterhalt trugen beide Ehepartner bei: Guiseppe Piunno, der mittlerweile als Busfahrer tätig war sowie Dolores, die in einem katholischen Kindergarten in Bad Kreuznach eine Festanstellung erhielt. Aus dem Traum, eines Tages nach Spanien zurückzukehren war die Gewissheit geworden, der Heimat in jedem Jahr einen Besuch als Urlauber abzustatten. 

Das kleine Stück vermisster Heimat fanden die Piunnos im deutsch-spanischen Club Bad Kreuznach wieder, dem sie seit Gründung 1986 angehören. Von den heute 230 Mitgliedern haben immerhin noch 54 spanische Wurzeln. 

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Dahin gehen wir alle zusammen, mit Deutschen, Spaniern oder Leuten aus anderen Ländern. Alle können kommen, wenn sie wollen. Alle sind zufrieden mit dem deutsch-spanischen Club. Da ist immer jemand da, im Januar ist dieser Aniversario, das ist immer ein Fest. Da bringt jeder eine Platte mit, dann kommt Musik und dann tanzen wir, das ist schön.

Bad-Kreuznach ist für Dolores Piunno schon lange Heimat, zumal auch ein kleiner Teil ihrer Familie in der Nähe lebt. Mitte der 1960er Jahre zog bereits ihre ältere Schwester nach Bad-Kreuznach, eine weitere Schwester nennt seit 14 Jahren die Stadt an der Nahe ihr Zuhause.

Die liebgewonnen Alltäglichkeiten sind es, die Deutschland in all den Jahren vertraut machten: Etwas der Stadtbummel in Bad-Kreuznach oder der Blick in das langsam vorbeiziehende Wasser der Nahe.

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Im Sommer, jetzt im Mai, wird das Schwimmbad geöffnet, im Salinental. Jeden Tag mache ich mir eine Karte dort, seit 30 Jahren. Dann kennen uns da so viele Leute, weil jeder dasselbe macht in meinem Alter. Aber vor allem Deutsche, die Spanier weniger. Dann treffen wir uns dort und das gefällt mir hier. 

Portrait Dolores Piunno
Wenn die heute 74-jährige auf ihr Leben zurückblickt, bereut sie ihren Entschluss nicht, Spanien vor 48 Jahren verlassen zu haben.

Dolores Piunno mit ihren eigenen Worten

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Und in Andalusien, in Granada, wo ich herkomme, da waren die Familien wirklich sehr arm. Deswegen ist meine Familie später nach Barcelona gezogen. Dort wurde es etwas besser. Dann kam ich hierher, deswegen habe ich die gute Zeit in Spanien nicht erlebt. Aber ich würde wieder hierher kommen, wenn es so wäre.