Goethe Grundschule Mainz

»Der Tanz der Kulturen«

Nadja Wenk ist Projektmitarbeiterin und Erzieherin am Institut zur Förderung von Bildung und Integration GmbH in Mainz (INBI) und leitet verschiedene Arbeitsgruppen (AGs) an der Goethe Grundschule. Seit vielen Jahren arbeitet INBI schon mit dieser Schule zusammen und bietet dort AGs an, deren übergeordnetes Ziel die spielerische Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen ist.

Kinder tanzen im Klassenzimmer.

Mädchen und Jungen aus rund 30 Nationen besuchen in der Goethe-Grundschule die erste bis vierte Klasse. Viele kommen etwa aus Ägypten, Afghanistan, Albanien, Bosnien, China, Spanien, Togo, Tschechien, Tunesien der Türkei oder aus Vietnam. Zuhause sprechen die Kinder meist die Landessprache ihrer Eltern, in der Schule aber wird Deutsch gesprochen. Wer hier Schwierigkeiten hat, dem helfen die Lehrerinnen und Lehrer durch muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und »Deutsch für Ausländer«.

Eigentlich könnten die Kinder vieles Spannende über die Besonderheiten der Kulturen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler erfahren, aber im Schulalltag ist das nicht immer einfach.

So dachte sich Nadja Wenk im Rahmen ihrer AG »Tänze aus aller Welt« ein Projekt aus, an dem 16 Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse jeden Mittwochnachmittag teilnahmen. Ein Großteil der Kinder stammt aus Familien mit Migrationshintergrund, deren Eltern oder ein Elternteil aus Bosnien, der Türkei, dem Iran und Indien kommen. 

Porträt Nadja Wenk
Nadja Wenk

»Ich möchte mit euch diesmal einen Tanz aus ganz vielen Kulturen entwickeln. Wie glaubt ihr, könnte das aussehen?«, habe ich zu Beginn die Kinder gefragt und ich bekam sofort zur Antwort: »Wir machen einen Tanz in dem wir verschiedene Tänze aus verschiedenen Ländern zusammen zu einem machen.« Der neue Tanz sollte den Kindern natürlich Spaß an der Musik und der Bewegung bereiten, vor allem aber die Möglichkeit bieten, ihre eigene Kultur zum Ausdruck zu bringen, andere daran teilhaben zu lassen, um so ihre interkulturellen Kompetenzen zu fördern.

Nadja Wenk

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Kinder sitzen an ihren Tischen in einem Klassenraum.
Mädchen spielt mit einem Tuch.
Kinder stehen im Kreis und tanzen.

In den ersten AG Stunden gab es viel Raum für Erfahrungsaustausch. Es wurde darüber gesprochen woher die Eltern ursprünglich stammen, welche Sprache zu Hause gesprochen wird, welche Erfahrungen sie mit landestypischen Tänzen bereits gemacht haben, oder von welchen sie einfach nur einmal gehört hatten. Die Mädchen und Jungen wurden darum gebeten, auch die Eltern miteinzubeziehen, nach Musik aus ihrem Herkunftsland zu fragen, oder vielleicht sogar mit ihnen zu Hause einen landestypischen Tanz zu üben.

Diese Eindrücke und Ergebnisse wurden zu Beginn einer jeden Stunde gesammelt und diskutiert. Die Kinder konnten die Musik, die sie von zuhause mitbrachten und ihre Ideen für den Tanz vorstellen.

Porträt eines Mädchens vor einer Wand

Beim gemeinsamen Proben hatten die Kinder immer wieder die Möglichkeit in eigener Regie Dinge abzuändern und Probleme zu besprechen. Anfänglich war die 10-jährige Cindy aus Bosnien so gar nicht von dem Tanzprojekt begeistert, doch das änderte sich recht schnell.

Cindy

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Alle Kinder überlegten, welcher Tanz in ihrem Herkunftsland bekannt ist. Was ein typisch deutscher Tanz ist, fiel den Kindern nicht ein, obwohl alle hier leben. »Wir kennen keinen deutschen Tanz! Ist das vielleicht so, wie die Bayern in ihren Lederhosen tanzen?« Und eine Gruppe von Mädchen war sich sicher »Die Prinzessinnen haben früher so getanzt in ihren schönen Kleidern und manchmal tanzt man so auch auf Hochzeiten. Das heißt doch Walzer, oder?«

Nach langem Ausprobieren hatte sich die AG letztlich auf einen Tanz geeinigt, der aus Elementen des Halay, einem Volkstanz verschiedener Völker, darunter Aramäer, Kurden und Türken, Kolbastı, einem türkischen Solo – oder Gruppentanz, einem indischen Tanz und einer selbst erfunden »Walzerchoreographie« besteht. Selbst die beiden Jungen in der Gruppe ließen sich schnell anstecken und tanzten mit viel Spaß und Begeisterung mit.

Viele der Kinder kannten den »Halay« in unterschiedlichen Variationen, was beim Einüben zu Diskussionen führte: »So geht das aber nicht«. Schnell stellten die Kinder aber fest, dass Dinge, die auf den ersten Blick in einer Kultur als gleich erscheinen, doch sehr unterschiedlich sein können.

 

Verschiedene Aufnahmen, die bei der Einübung des Tanzes entstanden:

Mädchen tanzen im Flur der Schule.
Kinder stehen im Kreis und spielen.
Junge tanzt Breakdance im Flur vor seinen Mitschülern.
Mädchen stehen Hand in Hand im Flur der Schule.
Kinder stehen im Kreis und tanzen.

Für jeden Tanz wählte die Gruppe eine »Expertin«, die für die Koordination verantwortlich war. Natürlich gab es immer wieder Unstimmigkeiten, die alle aber ohne große Hilfestellung alleine gemeistert haben. Unser neuer »interkultureller Tanz« sollte sich aber nicht nur an den traditionellen Heimattänzen orientieren, sondern auch am angesagten Hip Hop und Breakdance.

Immer wieder übten die Mädchen und Jungen, probierten die unterschiedlichen Varianten, ließen sich von der Musik inspirieren und fanden gemeinsam einen Weg, eine für alle zufriedenstellende Choreographie zusammenzustellen.
Auch die Kinder, die anfänglich sehr zurückhaltend und schüchtern waren, wurden von den anderen geduldig an die Hand genommen und bekamen die Schritte genau erklärt.

In unserer Tanz AG stand weniger das Ergebnis im Vordergrund, sondern viel mehr der gemeinsame Austausch und die Zusammenarbeit der Mädchen und Jungen. Die Kinder sollten genügend Raum für Gespräche über Erfahrungen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen bekommen, um sich so aufeinander einzulassen und voneinander zu profitieren. 

Nadja Wenk

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In der letzten AG Stunde planten wir einen Elternnachmittag, zudem wir alle Eltern herzlich eingeladen hatten. Die Kinder freuten sich darauf, ihren Eltern das Ergebnis ihrer ersten, eigenen Choreografie zu zeigen und waren natürlich sehr aufgeregt. 

Am »großen Tag« mussten wir leider feststellen, dass nur zwei Elternteile diese Einladung annahmen:

Nadja Wenk

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Auf Nachfragen bei den Kindern zeigte sich, dass es für einige Eltern Hürden gab, die Sie daran hinderten, an unserem Nachmittag teilzunehmen. »Meine Mutter schämt sich, weil sie kein Deutsch spricht und es auch nicht versteht« sagte ein Mädchen. Dieselbe Begründung nannte die Schülerin bereits einige Wochen zuvor, als die Eltern die Gelegenheit hatten, die Kinder in der AG zu besuchen. Auch von anderen Kindern bekam ich ähnliches zu hören. Dieses Beispiel zeigt, dass noch ein großer Handlungsbedarf in Richtung Integration besteht.  

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